Was entdeckten die Entdecker der Neuen Welt? – Auf der ersten, unproblematischsten Stufe sicherlich das, was sie mit eigenen Augen sahen: Inseln, Land und dann andere Menschen. Die Beschreibungen, angefangen mit Colón, sind Legion: Beschreibung des Gesehenen.
Aristoteles beginnt die Metaphysik mit einem wunderbaren Stufenbau, der, ansetzend bei der Sinneswahrnehmung, „insbesondere durch die Augen“, zum Wissen führt, zu dem alle Menschen von Natur aus streben. Beweis dafür ist eben die Liebe zum Sehen[1]. Elementarer, freier von Urteil und Vorurteil können wir, wie es scheint, nicht ansetzen. Unschuldiger Blick des Anfangs. Doch was entdeckte Colón, was sah er? – Wir wissen es, da uns seine Beschreibung des Gesehenen partiell zugänglich ist: Indien! Nein, ich bin nicht auf der Suche nach einem billigen Illustrationseffekt für die geschichtlich gesicherte Tatsache einer fehlerhaften Zuschreibung in der Überschneidung von Wahrnehmung und Denken oder von Sprache und unmittelbar Gegebenem. Ich möchte Sie dazu überreden, in dem projektiven Fehler des Colón ein Grundmoment wahrzunehmen, das nach der Korrektur des Fehlers erhalten bleibt. Ein Grundmoment, das auf anderen, höheren Verarbeitungsebenen als derjenigen der sinnlichen Wahrnehmung sogar unkorrigierbar scheint.
Die Interpretationsgeladenheit der Wahrnehmung, bei der ich also keineswegs verharren will, stellt allerdings schon den allerersten Anfang der Entdeckung des Neuen, die unterste Stufe der Einverleibung durch den Blick, in einen konzeptuellen Rahmen. Dieser Rahmen relativiert jede Beschreibung des Gesehenen auf subjektive bzw. intersubjektive Ordnungen hin. Selbst grundlegende Sinneswahrnehmungen stehen so bereits unter kulturellen Rahmenbedingungen. Dabei erfolgt natürlich Colóns oben bemühte fehlerhafte Deutung auf einer schon recht späten, strukturell hochkomplexen Beschreibungsstufe. Doch steht eben nicht nur das, was der Wahrnehmende deutend wahrnimmt, unter sozial etablierten Strukturmustern, erst recht ist kultur- und situationsabhängig, was dann als Beschreibung akzeptiert wird und als eine adäquate Beschreibung gilt.
Wittgenstein macht auf diese Problem in gewohnter Weise exemplarisch aufmerksam: „Und nun schau an, was ‚Beschreibung des Gesehenen‘ heißt! - ... Es gibt nicht einen eigentlichen, ordentlichen Fall so einer Beschreibung“[2] . Er zeigt, daß Beschreibung immer in ein ganzes Netz von Bedingungen eingebunden ist. Die Akzeptanz und Adäquatheit einer Beschreibung ist nur zum Teil von der Sache her bestimmt, wesentlich ist daneben die fraglose, standardisierte Form und Übereinstimmung mit den geltenden Beschreibungskonventionen. Dann erscheint die Beschreibung wie ein natürliches Bild des Gesehenen. Wir vergessen dabei jedoch oft, daß die Natürlichkeit des Sehens in einer Vielzahl von Fällen lediglich der automatisierte, zur Gewohnheit abgesunkene Fall eines Sehens als ist. Die Conquista bietet zahlreiche Illustrationen eines solchen fundamentalen ‚Sehens als‘. Vor allem liefert sie Beispiele für die Verselbständigung der mit den Wahrnehmungen verbundenen Implikationen. Diese konnten dann wiederum, losgelöst von der konkreten Berücksichtigung des Fremden, als interne Fragen im Rahmen des eigenen kulturellen Regelsystems behandelt werden. Eine Frage wie die, ob der Wilde ein selten intelligentes Tier oder ein Mensch im Stand der Unschuld ist, sieht dann aus wie das Bemühen um eine empirische Tatsachenfeststellung, wäre aber viel eher als Klärung der eigenen Begrifflichkeit oder Bestimmung der politischen Handlungsmaximen zu werten.
Freilich ist es notwendig, einige Differenzierungsebenen zu beachten. Offensichtlich sind wir nicht völlig in unsere internen Strukturen gefesselt, bzw. unsere Gebundenheit an interne Vorgaben ermöglicht verschiedene Objektivierungs- und Veräußerlichungsoperationen. Der Einwand, daß wir in der Begegnung mit Neuem doch nicht nur das dem Denken Altvertraute wiederentdecken, hätte sicher seine Berechtigung. Wenn wir gemäß unserem konzeptuellen Rahmen sehen und die Dinge als Erfüllung unserer Projektionen wahrnehmen, gibt es dennoch auch die bewußt werdende und bewußt gewordene Differenz des neu Wahrgenommenen - und für ‚wahr genommenen‘ - zu unseren alten Vorstellungen.
Amerigo Vespuccis[3] Anmerkung, er habe Dinge gesehen, die mit den Beschreibungen der Philosophen nicht übereinstimmten, weist auf diese andere Seite hin. Das Bewußtsein der Differenz des Neuen zur Vorgabe ist notwendigerweise vorhanden, wenn wir Neues als Neues, etwa als Korrektur des Alten, beschreiben. Doch dieses Neue ist in hohem Ausmaß nur das dialektische Gegenstück zum Alten im Binnenraum der fraglosen kulturellen Ordnung. Es stellt eine Stufe der Betrachtung und Beschreibung des Gesehenen dar, die als Option vorgezeichnet ist und weitgehend dem geltenden Deutungsschema verpflichtet bleibt. Denn auch die von Vespucci angesprochene Gegenstellung der Wahrnehmung zur philosophischen Spekulation und die damit verbundene Korrektur fragloser Grundannahmen durch neue Erfahrungen bleibt weitgehend im Rahmen des konzeptuell Vorgegebenen. Natürlich ergaben sich bei der Entdeckung der Neuen Welt Korrekturen der physikalisch-geographischen Weltbeschreibung. Doch das Weltbild, das sich ja nicht einfach aus der Aufzählung von Vorhandenem und dessen raum-zeitlicher Figuration bestimmt, sondern aus einem Gefüge von Wertungen, Methoden und Projektionen erarbeitet wird, dieses Weltbild als verdankter Entwurf wurde aus dem vorgegebenen europäischen Rahmen entwickelt. Dabei gewinnt der projektive Rahmen um so mehr Gewicht, je stärker Werte und Ziele, Grundhaltungen und Transzendenzphänomene berührt werden. Die Wahrnehmung des anderen Menschen und die Evaluation der Objektivationen seines Geistes wird so zum eigentlichen Prüfstein und Problem der Interpretationsgeladenheit.
Die Wahrnehmung Colóns beim Auftauchen des Landes aus dem Meer war, genau wie später dann der Blick auf die Fremden, nicht einfach das Feststellen eines Sachverhalts. Colón sah übrigens auf der Sachverhaltsebene, trotz seiner Tendenz zu einer phantasmagorischen Beschreibung[4], die eine besonders ausgeprägte Weise der Interpretationsgeladenheit der Wahrnehmung anzeigt, die begegnenden Fremden definitiv als Menschen an. Gerade bei der Frage nach den ‚ganz anderen’ Fremden können wir jedoch auch in ausgezeichneter Weise die Verarbeitung des Neuen im alten Schema konstatieren. Die Eingeborenen? - Paradiesische Menschenwesen oder tierische Vormenschen! Einige, allerdings wohl nicht an Protokollsätzen interessierte und gar nicht auf Beschreibung festgelegte, Conquistadoren verarbeiteten die unerhörte Neuheit der Begegnung mit den Anderen unter Hinweis auf autoritative antike Texte auch ganz anders als Colón. Grundsätzlich jedenfalls gilt, daß die Wahrnehmung des Landes wie der Menschen als Erfüllung verschiedener Projektionen auftrat und als Basis unterschiedlichster Zielprojektionen diente[5]. Das Land und die Menschen waren schon Zweck und Mittel bevor eine konkrete Verzweckung einsetzte. Beschreibung ist dabei nicht unabhängig von direkter Zweckgebundenheit, aber die Beschreibung ist nicht einfach Funktion eines Zwecks, sie generiert vielmehr ihrerseits Ziele, Hoffnungen und Ängste. Indirekt trägt die Beschreibung Bündel von Zwecken in sich. Die Frage danach, wer mit welchen Mitteln beschreibt, ist dabei parallel zu der Frage danach zu sehen, wer in welcher Weise die Geschichte schreibt und erzählt. Es ist denn auch so, daß die Deutungsaspekte der Beschreibungen ihr Analogon im narrativen Konstrukt der Geschichtsschreibung finden. Die späteren Chroniken der Eroberung geben davon beredt Zeugnis.
Ich wollte das Grundphänomen der Verknüpfung von Interpretation und Wahrnehmung vorausschickend bewußt machen, weil es die offenkundigeren Phänomene der interpretativen Geladenheit bei den kommunikativen Strukturrahmen und bei den ideologischen Bestimmungen bezüglich des begegnenden Mitmenschen fundiert und tingiert. „In der Sprache berühren sich Erwartung und Erfüllung“ (PU § 445) sagt Wittgenstein. An der Beschreibung des Gesehenen machen wir dies zumeist nur wie einen Hauch aus. Nur gelegentlich wird uns das Spannungsgefüge überhaupt bewußt. Im Vollzug der Kommunikation mit anderen aber wird unsere Erwartung in dem Moment, in dem diese anderen eine Sprache sprechen, die durch eine hinreichend differente Lebensform fundiert ist, zur gesetzesähnlichen Vorgabe. Deren Nichterfüllung erscheint als Verstoß gegen die Vernunft oder die Sitten. Unsere Erwartung gibt das Gesetz für die Beschreibung vor, und unsere Beschreibungssprache ist kondensierte Erwartung[6]. Die einseitige Vorgabe der Sprache fällt uns deshalb nicht auf, weil der Streit oder das kultivierte Streitgespräch, selbst noch in der Artikulation Entscheidung fordernder, gegensätzlicher Alternativen, in der Regel Erfüllung der Strukturvorgabe bedeuten. Der Streit der Thesen setzt den gemeinsamen (Problem)- Horizont voraus.
So stehen etwa in den Colloquios y doctrina Christiana (1524), vom deutschen Übersetzer des mexikanischen Texts, Walter Lehmann, sehr glücklich mit dem Titel „Sterbende Götter und christliche Heilsbotschaft“ versehen[7], beide Gesprächsparteien, die aztekischen Granden und Priester auf der einen, und die christlichen Missionare auf der anderen Seite, in gewisser Weise bereits auf demselben Boden, der durch die Zerstörung der aztekischen Kultur und den Tod der aztekischen Götter bereitet worden ist. Es geht an dieser Stelle nicht darum, wie und ob etwa doch ein echtes Gespräch möglich wäre, ich suche lediglich darauf aufmerksam zu machen, daß selbst in den scheinbar offenen Dialogen die Vorgabe der Beschreibungsform als so etwas wie ein Gesetz auftritt. Ich komme auf diesen Punkt zurück.
Wollte man eine allgemeine Regel zur Interpretationsgeladenheit angeben, so kann man feststellen: je ausgeprägter – bezogen auf die unmittelbare visuelle Sinneswahrnehmung - der Metaphorizitätsgrad bei Verwendung des Wortes ‚Wahrnehmung‘ ist, desto stärker entfaltet sich die strukturelle Gewalt des Gesetzes der Beschreibung als quasi-natürliche, interpretative Differenz. Eine – in diesem Sinn ‚metaphorische‘ - Wahrnehmung von Sozialstrukturen (man könnte dafür einen Metaphorizitätsgrad 1 ansetzen) ist qua Beschreibung abhängiger von den vorgegebenen Strukturen der Beschreibungssprache, die als Erwartungsmuster fungieren, als die reine Sinneswahrnehmung (Grad 0). Andererseits ist die Einschätzung von Wertordnungen und ästhetischer Welterfahrung (man könnte von einem Grad 2 sprechen) beim Blick auf die Fremden und das Fremde noch ausgeprägter vom je eigenen Bezugsrahmen bestimmt als die ‚Wahrnehmung‘ der Sozialstruktur (Grad 1). Und schließlich ist wiederum die Erkenntnis grundlegender metaphysischer oder religiöser Zusammenhänge als Sinn einer Lebensform (Grad 3) als Wahrnehmung der Andersheit nahezu gänzlich vom eigenen Vor-verständnis her determiniert. Möglicherweise lassen sich differenziertere Gradationsschritte in der Entwicklungslinie der Abhängigkeit der Beschreibungen vom vorgegebenen Beschreibungsrahmen aufweisen, doch es geht mir gar nicht um eine Festlegung auf vier Stufen. Der entscheidende Punkt, auf den ich aufmerksam mache, ist die Verstärkung der bereits auf der unmittelbaren Ebene des Sehens gegebenen Interpretationsgeladenheit der Wahrnehmung bei Bezugnahme der Beschreibung auf Sozialstrukturen und davon abhängige Konstrukte. Da der Begriff ‚Wahrnehmung’ in diesen Fällen in abgeleiteter Form Anwendung findet, läßt sich die Steigerungslinie als Zunahme des Metaphorizitätsgrades von ‚Wahrnehmung’ beschreiben.
Ob man diese Struktur auf die einfache Gleichung bringen kann, daß sich die Betrachtung - und dazu zwangsläufig in gesteigerter Potenz die Beschreibung - desto stärker verzerrt, je mehr Kulturwerte statt Naturgegebenheiten zum Gegenstand der Betrachtung werden, kann dahingestellt bleiben. Auch wenn es durchaus so scheint, als ob die Beschreibung des Fremden um so entschiedener unter dem Gesetz der eigenen Perspektive erfolgt, je fremder und je abstrakter die Kulturleistung ist. Daher ist vor allem bei kausalen Erklärungsversuchen bezüglich Riten und Kultus zu beachten, daß so fast immer ein Erklärungsmodell im eigenen Begriffsrahmen für ein Phänomen geboten wird, das in eine Vielfalt ganz anderer Bezüge einzuordnen ist[8]. Amerigo Vespuccis Beobachtung, daß die Eingeborenen ganz nach den Gesetzen der Natur lebten und – andererseits - die Besiegten verzehrt werden, da Menschenfleisch bei ihnen eine ganz gewöhnliche Nahrung sei, zeigt im angedeuteten Kausalenzusammenhang die völlige Abhängigkeit vom zur Verfügung stehenden Erklärungsrahmen und die weitgehende Unkenntnis von irgendwelchen tatsächlichen Gründen. Die Verortung der anderen Menschen als Naturwesen ist natürlich eine Kulturbeschreibung, die bei der anderen Gruppe Kulturwerte negiert, nicht etwa eine Naturbeschreibung als welche sie Colón selbst (und Vespucci) erschienen sein dürfte. Die Rückbindung der Beschreibung auf tradierte Schemata der eigenen Kultur liegt offen zu tage. Der Handlungs- und Gestaltungsraums der fremden Kultur und dessen Begründung wird aus den Implikationen der eigenen Deutungsschemata entwickelt. Die konkurrierenden fremden Deutungsschemata treten noch nicht einmal als Störmomente in Erscheinung. Zwei Fragen stellen sich hier allerdings nahezu von selbst: a) wie steht es um allfällige Korrekturen und b) wie ist das Verhältnis zu den konkurrierenden Beschreibungssystemen fremder Kulturen.
Zu der Frage a), nach der Korrigierbarkeit und faktischen Korrektur der tradierten Vorgaben, die Wahrnehmung und Beschreibung prägen, läßt sich feststellen, daß hinsichtlich der unmittelbaren Tatsachenfragen auf der empirischen Ebene die Korrektur in den konzeptuellen Rahmen integriert ist. Das geographische Weltbild des Kolumbus wurde denn auch schnell, nicht einmal in erster Linie durch Amerigo Vespucci, den Namengeber für die Neue Welt, korrigiert. Das Neue wurde adäquat als Neues integriert. Doch für den Blick auf die Fremden, für den Blick auf die Objektivationen des Geistes stellt sich die Lage anders dar. Die unmittelbare Korrigierbarkeit nimmt genau in dem Maße ab wie der Metaphorizitätsgrad des Begriffs ‚Wahrnehmung’ zunimmt. Die faktische Korrektur verlangt dann - zumindest - Langzeitbeobachtungen der Fremdkultur.
Die Frage b) nach dem Verhältnis zu konkurrierenden Beschreibungssystemen verkompliziert die Sachlage wesentlich. Die fremden Kulturen sind nicht einfach nur Objekt der Beobachtung. Sie reagieren auf die Beobachtung und interagieren mit den scheinbar neutralen Beobachtern.
Das spezielle Problem der Eigenkorrektur hinsichtlich der Objektwahrnehmung gewinnt eine neue Dimension, wenn das Objekt prinzipiell selbst die Korrektur vornehmen kann, also ein konkurrierendes Interpretationsmodell bereitstellt. Dies führt, zur Frage nach den fremden Kulturen, nicht als Objekt des Verstehens bzw. Mißverstehens wie bei Naturgegebenheiten, sondern zur Frage nach der Fremdkultur als Subjekt eigenen Weltentwurfs, zur Frage nach fremden Beschreibungs- und Deutungssystemen eigenen Rechts, die aktiv mit anderen Systemen um Deutungshoheit konkurrieren. Die Frage nach der eigenen Korrekturfähigkeit im Blick auf ‚objektive’ Adäquatheit wird erweitert zu der Frage nach der Anerkennung grundsätzlich divergenter Fremdpositionen.
Wie auch immer die Frage der Beschreibung der Kultur in ihrer Differenz zur Naturbeschreibung zu beantworten wäre , ein anderes Moment, ein Moment der Hierarchisierung, kommt hinzu, sobald wir den Blick auf die Kulturobjektivationen der Menschen und das Verhältnis zu den Fremden und deren Kultur richten. Die generelle Tendenz zur relativ korrekturresistenten Unterwerfung fremder Kultur unter vorgegebene eigene Muster ist unbestreitbar. Doch daneben erfolgt eine Wertfestlegung der Kulturen, die konkurrierende Deutungsangebote machen. Die hierarchische Klassifikation einer fremden Kultur als Kultur eigenen Rechts ist dabei selbst ein abhängiges Beschreibungsphänomen[9]. Die Anerkennung fremder Lebensformen und der daraus abzuleitenden Weltbilder erfolgt vor der Folie eigener sozialer Institutionen und Wertzuschreibungen. Als Klassifikationspostulat wäre die Anerkennung von Gleichrangigkeit jedoch um so wichtiger, je weniger die Korrekturverfahren interpretationsgeladener Beschreibungen, wie wir sie aus der empirisch deskriptiven Naturbeschreibung kennen, in den konzeptuellen Beschreibungsrahmen integriert werden können. Die Korrekturmechanismen greifen nämlich, wie bereits festgestellt, lediglich auf der Ebene der Tatsachenbeschreibung, nicht auf der Ebene der Bedeutungszuschreibung. Selbst wenn die Tatsachenfeststellungen korrigiert werden, die Wertungen bleiben. Offenkundig nimmt die Bereitschaft zur Relativierung oder gar Korrektur der eigenen Beschreibungen in gleichem Maße ab wie Wertungen an Bedeutung gewinnen. Das ist nicht lediglich eine Quelle für das Nicht-Verstehen fremder Kulturen, bzw. das Mißverstehen der Fremdkultur gemäß den je eigenen Deutungsrahmen, das ist der Grund für die generell nicht seltene, und im Fall der lateinamerikanischen Conquista zum Standardfall gewordene Eliminierung der Möglichkeitsbedingung einer tragfähigen interkulturellen Basis.
Das Nicht-Verstehen der fremden Völker ist das eine, in unserem Zusammenhang interessierende Moment. Die spezifische Verortung und Situierung der Fremdkultur, die im Bewußtsein von deren eigenem Deutungsrahmen - der jedoch keine Anerkennung findet - erfolgt, führt zum anderen, im Blick auf die Conquista noch entscheidenderen, Problemknoten. Das (scheinbare) Verstehen[10] oder die formale Akzeptanz eines fremden kulturellen Rahmens als bloßes Faktum, läßt ja völlig offen, wie wir uns zu der in Frage stehenden und durch unseren Erwartungshorizont in Frage gestellten Kultur verhalten. Theoretisch mögen wir eine uns rätselhafte Sozialisationsform und Kulturleistung höher, gleich oder niedriger gegenüber unserer eigenen ansiedeln. Die klassifizierende Beschreibung erfolgt unbeschadet unseres Nicht-Verstehens oder Verstehens. Praktisch wurden jedoch alle amerikanischen Kulturen, unerachtet ihrer großen Differenzen untereinander, in gleichartiger inferiorer Opposition zur eigenen superioren Kultur, d.h. im konkreten Fall der Kultur der Spanier, wahrgenommen. Darin, weniger im Verstehen oder Nicht-Verstehen an sich, unterscheiden sich die Kulturbegegnungen zwischen Alter und Neuer Welt von denen zwischen Europa und dem Fernen Osten. Dieser Frage kann jedoch im gegebenen Zusammenhang nicht nachgegangen werden.
Beschreibung erweist sich demnach in zweifacher Weise als klassisches Herrschaftsmittel. Sie ist einmal weitgehend unbewußte kategoriale Vereinnahmung und zum anderen hierarchische Einordnung des fremden Kategorien- und Wertesystems. Die theoretisch interessante Frage ist dabei, inwieweit wir die Möglichkeit haben, die inhärente Strukturgewalt der Sprache zu unterlaufen. Das ist im Grunde das fundamentale Problem des Aufeinanderpralls von Kulturen. Die entscheidende Differenz liegt nicht im Bereich der Thesen und Urteile. Sie betrifft die Basis, d.h. den Ermöglichungsgrund für Aussagen sowohl konsensueller als auch konträrer Art und liegt jenseits der wahr/ falsch Dichotomie. Gegner in einer Argumentation, wie beispielsweise der Indianerfreund Las Casas und der Indianergegner Sepúlveda, stritten auf einem gemeinsamen Boden, einem Glaubensboden im weitesten Sinn, jenseits noch des religiösen Bekenntnisses. Die indigenen Fremden[11], denen die Eroberer im Zuge der Conquista begegneten, blieben hingegen durch einen Abgrund von den Konquistadores getrennt. Sinnfälliges Bild dafür ist, daß ihr Boden im buchstäblichen Sinn, das Land, das sie bewohnten, als herrenloses Land wahrgenommen und beschrieben wurde. Das geistige Fundament, ihr Glaubensboden und ihre Lebensform, fanden jedoch noch weit weniger Anerkennung als ihr Anspruch auf Land. Letzterer, der Anspruch auf das Land, wurde im abstrakten Herrschaftsgefüge der spanisch-abendländischen Diskussion durchaus kontrovers diskutiert. Die Diskussion selbst artikulierte jedoch gerade als Diskussion über den legitimen Anspruch der Indígenas ihrerseits bereits konquistadorischen Anspruch, wie gegensätzlich auch immer die einzelnen Positionen formuliert wurden. Die Rechtsposition der indigenen Kultur interessierte als Streitfall in der eigenen Rechtskultur. So fördern auch die Narrationen eines Las Casas oder Sahagúns identitätsbildende Prozesse bei den Eingeborenen, sind andererseits aber – wenn ich einen Terminus aus der Chaostheorie in solcher Weise metaphorisch beanspruchen darf -, Versklavungsstrukturen der Fremdkulturen. Von daher gewinnt die Frage ihre Brisanz: Gab es für die fremde Ratio des indianischen Denkens und Handelns irgendeinen Platz? War die Position überhaupt adäquat beschreibbar[12], war sie gar artikulierbar?[13] Habermas‘sche Diskursethik etwa, wenn man sie denn in Anschlag brächte, griffe erst viel später, ordnete paradoxer Weise erst dem angeeigneten und unterworfenen Fremden einen Platz zu. Dieser Platz läge zwangsläufig im argumentativen Herrschaftsgefüge der Eroberer-Rationalität. Die bereits erwähnten Colloquios y doctrina christiana weisen trotz des Bemühens, die andere Seite zu Wort kommen zu lassen, diese Problemstruktur auf.
Bezeichnend ist: Die indigenen Kulturen gelangten in ihrem Eigenwert erst wieder zur Geltung, als sie untergegangen waren. Gerettet wird etwa das Proprium des Aztekischen im Zitatgestus, also in indirekter Rede, wenn - und man darf vermuten weil - die von einer Lebensform gedeckte Sprache, weil der Geist, der lebendige Atem des Gebrauchs, wie Wittgenstein formulieren würde, erstorben ist. Die lebendige Rede der aztekischen Granden in den Colloquios y doctrina christiana ist Totenrede, Schwanengesang in der Inszenierung bereits abendländischen Geistes. Andererseits zeigt sich die Widerständigkeit kultureller Objektivationen und Kraftlinien manchmal auch in anderer Richtung, fast als List der Geschichte. So begegnet in rezenten Sprachformen als dynamischer, kulturprägender Kraft ein seltsam modifiziertes Christentum, das Rückschlüsse auf altmexikanische Religion erlaubt[14].
In diesen Beispielen vermeine ich Bestätigungsfälle für eine kulturphilosophische Position Wittgensteinscher Prägung zu entdecken. Nachdem ich bereits mit dem Wittgensteinschen Konzept der Interpretationsgeladenheit operiert habe, möchte ich nun die kulturphilosophischen Aspekte auf der Grundlage sprachphilosophischer Überlegungen Wittgensteins klären. Die Wittgensteinsche Position ist gekennzeichnet durch die Herausarbeitung eines grundsätzlichen Relativismus der Kulturen auf holistischer Basis. Eine kulturübergreifende allgemeine Beschreibungs- und Zugangsebene gibt es nicht, doch enthält die Wittgensteinsche Überlegung ein implizites Modell für Integration des Fremden und geschichtlichen Wandel.
Im Folgenden bewege ich mich zunächst auf einer abstrakten Ebene, die verdeutlicht, wo die Schwierigkeiten der Kulturbegegnung liegen, und inwiefern die Kulturdifferenz im theoretischen Modellfall bei hinreichender Fremdheit ein unlösbares Problem darstellt. Dies expliziere ich an einigen Aussagen Wittgensteins zum Zusammenhang von Sprachspielen, Lebensform und Bedeutungsetablierung. Dabei zielen diese Fragestellungen nicht auf die physikalische Beschreibungsebene, sondern auf kulturelle Gegebenheiten[15].
Ich stelle in wenigen Sätzen voraus, warum und in welcher Weise gerade Wittgensteins Sprachphilosophie von Bedeutung ist. Die Sprachphilosophie des späten Wittgenstein, wie sie vor allem in den Philosophische Untersuchungen skizziert wird, behauptet einen strikten Zusammenhang von Sprache und Lebensform einer Sprachgemeinschaft. Alle sprachlichen Ausdrücke und formalen Kategorien erlangen allein aus der konkreten (alltäglichen) Auszeichnungspraxis einer sozialen Gemeinschaft Bedeutung und Geltung. Verwendungsregeln bestimmen die Bedeutung der sprachlichen Terme im semantischen Sinn und legen die konkreten, situativen Interpretationsweisen fest[16] Aus der Einbettung in sozial etablierte Sprachspiele und deren Verbundenheit mit der Praxis folgt dann unmittelbar, daß man ein Verstehen fremder kultureller Objektivationen des Geistes nur erlangen kann, soweit man die Äußerungsformen der anderen Kultur im Gesamtzusammenhang der anderen Lebensform einzuordnen vermag. Im Prinzip wird dies durch Teilhabe an der Struktur ermöglicht, nicht notwendigerweise durch Beteiligung an einzelnen Akten. Aus logischen Gründen kommt dabei in Bezug auf die Etablierung von Regeln dem jeweils anderen die superiore Position eines Akzeptanzkriteriums zu[17], da man nicht allein, selbstbezogen, in abstracto einer Regel folgen kann. Der Ansatz zu einer Lösung, die konstitutive Kulturbegegnung unter Unsicherheit ermöglicht, zeichnet sich in Wittgensteins beiläufiger Anmerkung zur Regelgebundenheit des Spiels ab, wenn er den Fall 'make up the rules as we go along' (PU §83) erwähnt. Doch muß man sich zunächst die theoretischen Schwierigkeiten einer 'Entschärfung des Beschreibungsgesetzes' verdeutlichen.
Das Gesetz der Beschreibung wirkt sich auf zwei unterschiedlichen Ebenen aus, die in komplizierter Dialektik so miteinander verknüpft sind, daß die nachgeordnete Ebene des konkreten Handelns die vorgeordnete bestimmt. Betrachten wir zunächst, inwieweit und in welcher Weise Beschreibungen normative Effekte haben.
Ein normativer oder präskriptiver Charakter wächst der Beschreibung im Blick auf kulturelle Objektivationen zu, weil die scheinbar unmaßgebliche Form der neutralen Beschreibung in Wirklichkeit das Maß dafür vorgibt, daß etwas überhaupt als Phänomen zählt. Diese maßgebliche Erfassung des Gegebenen als etwas bestimmt dann Verstehen oder Nicht-Verstehen. Man könnte z.B. an die Beschreibung einer Opferhandlung denken. Dabei sollte man nicht vergessen, was alles vorerfüllt sein muß, daß irgendeine Handlung als Opfer beschreibbar wird. Andererseits stellt die Beschreibung als ein bestimmtes ‚Etwas’ (X) eine einfache Berufungsinstanz für Legitimationszwecke dar, die instrumentalisiert werden kann. In der Geschichte der Conquista vermischt sich in dieser Weise durchgängig Beschreibung mit Legitimation[18].
Auf der grundlegenden Ebene stellt sich die Frage nach der Beschreibung in der Form: 'Was ist wie (als was) gegeben?' (I). Was tritt überhaupt der Möglichkeit nach als Gegenstand der Beschreibung auf und wie sind die formalen Einbettungen in Beschreibungszusammenhänge? Schlüsselsatz dafür ist bei Wittgenstein die lakonische Feststellung: „Das Wesen ist in der Grammatik ausgesprochen“ (PU §371). In diesem Zusammenhang betont Wittgenstein ausdrücklich: „Welche Art von Gegenstand etwas ist, sagt die Grammatik. (Theologie als Grammatik)“ (PU §373). Der Klammerzusatz weist dabei auf eine beispielhafte Problemkomponente hin, die uns im Verlauf der Conquista deutlich vor Augen tritt: die Grammatik der Eroberer erlaubt es nicht, den Göttern der Azteken einen Platz zu gewähren. Es sei denn als Teufel[19]. Auf ganz anderer Ebene, doch in analoger Problemstellung mußte auch der Platz der Person (Geistseele) erst als kategoriale Bestimmung der Indígenas praktisch erkämpft werden.
‚Grammatik’ meint hier natürlich nicht etwa Regeln über die Syntax einer Sprache, sondern nimmt Bezug auf jene Tiefengrammatik, die unser sprachliches Weltverhältnis bestimmt (cf. PU § 664). In dieser Weise fungierte die in den Beschreibungen immer wieder hervorgehobene natürliche Nacktheit der ersten Eingeborenen, denen die Conquistadoren begegneten, als Versuch kategorialer Festlegung. Die Beschreibung vermittelte keinesfalls einfach eine Information. Bezüglich der Eingeborenen bedeutete das etwa, daß Fragen relevant werden, ob sie als Personen auftreten. Das beinhaltet dann seinerseits wiederum vielfältige Implikationen und Fragen, die aus der semantischen Ordnung des Begriffssystems erwachsen: ob beispielsweise das Prädikat ‚lachen‘ für sie definiert ist (menschliches Proprium), ob sie als Rechtsträger vorkommen, als Vernunftwesen etc. Die Beschreibung stellt also nicht etwa nur fest, wie es sich verhält, die Beschreibung legt vielmehr unabhängig von ihrem propositionalen Gehalt fest, welche Fragen sinnvoll sind, welche Implikationen denkbar und welche Folgen angezeigt.
Zweifellos nachrangig im Vergleich zur gleichsam fundamentalontologischen Qualität der Frage I (Was zählt im kategorialen Gefüge als was?), ist das zweite Charakteristikum der Beschreibung, das wir in die Frage II kleiden können: ‚Was vom Gegebenen interessiert, was zählt für uns als wichtig, was hat Alltags-Bedeutung?‘ Was beschreiben wir warum?
Sowohl im Bereich der Wissenschaft wie generell gilt, daß bei Beschreibung und Erklärung allein schon in der Auswahl dessen, was beschrieben oder erklärt wird, ein Wertgesichtspunkt eine Rolle spielt. Dieser Wertaspekt drückt sich darin aus, daß wir überhaupt etwas für beachtens- und deshalb beschreibungswert ansehen und aus der unendlichen Menge potentieller Beschreibungen auswählen.
Dabei gibt es in nahezu paradoxaler Umkehrung eine Abhängigkeit der fundamentalen Frage I (was überhaupt gegeben ist) von dieser Frage II (was von dem Gegebenen wichtig ist). Dies hängt damit zusammen, daß in der Lebensform letztlich der Gebrauch entscheidet, was eine (wichtige) Rolle spielt. Dieser Gebrauch ermöglicht es andererseits als Sprachgebrauch jedoch erst, semantisch und kategorial zu erfassen, was überhaupt in welcher Form gegeben ist. Die Anwendung ist Kriterium für das Verstehen einer Regel, die als Regelform aber erst durch die Anwendungspraxis, durch eine ‚Gepflogenheit’, etabliert wird.
Auf der abstrakt-theoretischen Ebene führt dies zu der Auffassung von der Abhängigkeit der Ontologie von der Praxis des Sprachgebrauchs. Ich lasse diese Fragen einer sekundären Ontologie[20], die implizit normativ aufgeladen ist, jedoch ganz auf sich beruhen und mache lediglich darauf aufmerksam, daß wir so aus dem, was in der konkreten Lebenswelt wichtig ist, die fundamentalen Kategorien, dessen was ist, ableiten. Das Sekundäre der Lebensform legt fest, was dann als Primäres, nicht nur vorgegeben scheint, sondern – allerdings in einer bestimmten Perspektive, die nicht beliebig gewechselt werden kann – vorgegeben ist.
Als idealer Illustrationsfall könnte der Begriff ‚Seele’ dienen, sei es als kategorialer Gegen-stand, sei es als dispositionelle Kennzeichnung ‚Beseeltheit’, mit allen damit verbundenen Implikationen. Lyotard faßte seine Überlegungen im Anschluß an Wittgenstein in die sinnige Kurzformel: ‚jemandem eine Frage stellen, heißt voraussetzen, daß er eine Seele hat’[21]. Binde ich jemanden durch eine (echte) Frage ins Sprachspiel ein, setze ich voraus, daß er eine Seele hat. Heute steht die Gegebenheit und der Sinn einer Frage nach der Seele generell mit dem ganzen dazugehörigen Sprachspiel in Frage, in der Conquista die Seele der Indígenas.
Dies erlaubt mir einen zwanglosen Brückenschlag zu der sprachphilosophischen Auffassung Wittgensteins, daß die sprachlichen Zeichen allein durch den Gebrauch leben, und die Regeln des Gebrauchs uns die Bedeutung der Terme erschließen. „Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache“, vermerkt Wittgenstein in den Philosophischen Untersuchungen (PU § 43). Zumindest gilt diese pragmatische Semantik, wie Wittgenstein an der angeführten Stelle bemerkt, für einen Großteil der Fälle. In Bezug auf meine Einteilung nach Metaphorizitätsgraden der Wahrnehmung, ließe sich sagen, daß bereits auf der Stufe Null die Gebrauchregeln als Bedeutungsregeln fungieren, mit Ausnahme vielleicht der Eigennamen. Für alle höheren Grade gilt a fortiori, daß die Bedeutung der ‚Gebrauch’ ist.
Das muß in Zusammenhang gesehen werden mit dem von Wittgenstein entwickelten Konzept des ‚Sprachspiels‘. Dieser, von Wittgenstein in unterschiedlichen Verwendungsweisen eingeführte Begriff, hat als gemeinsamen Nenner aller drei Bedeutungsvarianten, die sich für 'Sprachspiel' erheben lassen, die Verwobenheit der Sprache mit praktischen Lebensvollzügen. Ich beziehe mich vornehmlich auf die dritte Bestimmung Wittgensteins bezüglich des Begriffs ‚Sprachspiel’: „Ich werde auch das Ganze: der Sprache und der Tätigkeiten mit denen sie verwoben ist, das ‚Sprachspiel‘ nennen“ (PU § 7).
Sprachspiel ist also nicht nur ein Spiel mit Sprachzeichen, Wörtern und Sätzen, sondern umfaßt zugleich die Tätigkeiten, die mit Sprechen verbunden sind. So stellt sich das Sprechen als eine Tätigkeit mit ganz praktischen Folgen heraus und von diesen praktischen Folgen kann nicht abstrahiert werden. Unsere strukturelle Einstellung zum anderen Menschen garantiert - im Sprachspiel - dessen Seele. Der generelle Mechanismus der Sprache operiert als konstruktive Aneignungsform von Welt und generiert aus divergenten Lebensformen sprachspielerisch unterschiedliche Weltperspektiven, wenn nicht Welten.
Dies eben ist auch der Grund dafür, daß alle Beschreibungen in erster Linie so etwas leisten wie eine Einordnung des Gegebenen, beispielsweise des neu Entdeckten, in den fundamentalen Interessenszusammenhang der vorgegebenen Lebensform. Deshalb betont Wittgenstein: „Was wir ‚Beschreibungen‘ nennen, sind Instrumente für besondere Verwendungen“ (PU § 291; meine Hervorhebung). Die Ansicht von der Beschreibung als einer Art „Wortbild der Tatsachen“ weist er in diesem Zusammenhang ausdrücklich und entschieden zurück. Die Beschreibungen sind Instrumente. Diese wirklichkeitsgenerierende Kraft der Instrumentalisierung tritt in den konquistadorischen Beschreibungsperspektiven klar zutage.
In der Begegnung mit der ‚Neuen Welt’ war der Fall gegeben, daß die Sprachspiele und damit die Kategorien der Beschreibung so verschieden waren, daß tatsächlich eine fundamentale Differenz erreicht wurde. Diese Differenz verstärkte sich auch durch das neuzeitliche, dem Mittelalter entgegengesetzte, Ich-Bewußtsein und wurde instrumentalisierbar[22]. Die Wende von der mittelalterlichen Ordnung zum neuzeitlichen Subjekt verschärfte so die Differenz der Lebensformen von Neuer und Alter Welt. Vielleicht liegt darin mit ein Grund für das Scheitern der Ordnungsversuche eines Las Casas[23].
Auf der theoretischen Ebene stellt sich der Sachverhalt nun so dar. Die sprachlichen Gegebenheiten auf der elementaren Konstitutionsebene von Bedeutung und Sprechakten führen in einem komplexen Gefüge, wie wir es in den ausgebildeten natürlichen Sprachen vorfinden, zu einer starken Bezogenheit der Sprache auf Lebensformen. Diese Lebensformen sind zumeist so angenähert, daß die Differenzen nur auf der subtilen Ebene kultureller Besonderheiten eine gewisse, nahezu vernachlässigbare Rolle spielen. Prinzipiell, also in theoretischen Annahmen, können die Lebensformen jedoch äußerst divergent gedacht werden. Dabei gibt es einen Grenzfall. Immer bleibt die „gemeinsame menschliche Handlungsweise das Bezugssystem mittels dessen wir uns eine fremde Sprache deuten“ (PU § 206). Wie wir aus der konkreten Entwicklung der historischen Debatten um die Conquista - etwa zwischen Las Casas und Sepúlveda - wissen, wurde die Differenz zwischen den Indigenen und den Conquistadoren als solche Grenzfalldifferenz, bei der sogar die gemeinsame menschliche Handlungsweise als Deutungsbasis in Frage steht, angesehen.
Dabei spitzt sich das Problem, wenn für alle wesentlichen Kulturinstitutionen die Gemeinsamkeit in Frage steht, sogar bei der verbleibenden gemeinsamen menschlichen Handlungsweise schon nahezu unlösbar zu. Im Fall der Conquista lassen sich folgende Fälle unterscheiden: a) die menschliche Gemeinsamkeit wird - rhetorisch zumindest – direkt in Frage gestellt, b) selbst wenn die Gemeinsamkeit akzeptiert wird, kommt dennoch die Frage auf, inwieweit diese erkennbare gemeinsame Basis für eine Akzeptanz der Lebensform ausreicht, und wenn dies theoretisch angenommen wird, bedingt c) die hierarchische Einordnung der fremden Kultur zum inferioren Vorgänger oder Gegenbild der eigenen Kultur die Unterdrückung des Fremden. Die scheinbar minimalen Differenzen vor dem Hintergrund der gemeinschaftlichen menschlichen Handlungsweise werden auch im Fall c) zu beachtlichen Hindernissen für das Verstehen, das lediglich auf einer vorkulturellen Ebene elementarster Bedürfnisbefriedigung gewährleistet scheint. Die Gemeinsamkeit des Menschlichen rettet zwar ein elementares Verstehen der natürlichen Physis (s.o. Gradationsstufe 0), doch nicht einmal das elementarste Verständnis eines differenten Nomos (alle höheren Gradationsstufen) wird so gerettet.
Auf allen Ebenen gilt dabei: Vision und Gesehenes hängen in der Beschreibung von einer Vielzahl von praktischen Umgebungsbedingungen und Interessen ab, die es erst als Ganzes ermöglichen, die Mitteilung eines einzelnen Sachverhalts einzuschätzen. „Einen Satz verstehen, heißt eine Sprache verstehen. Eine Sprache verstehen heißt eine Technik beherrschen“ (PU § 199). Mit Technik meint Wittgenstein in diesem Zusammenhang Gepflogenheiten, Gebräuche, Institutionen der Lebensform, kurz, das große Ganze[24].
Die im Zusammenprall unterschiedlicher Kulturen mit grundverschiedenen Sprachspielen bedeutsame Folgerung wäre: selbst wenn ein Mensch eine einfache Beschreibung eines Sachverhaltes in einer fremdem Sprache entschlüsseln kann, so fehlt ihm in vielen Fällen zum Verständnis der Bedeutung eines Satzes der Unterbau der sprachlichen Zusammenhänge. Man könnte sagen, daß der informative Gehalt zwar relativ beschreibungsneutral formuliert werden kann, daß die eigentliche Bedeutung, insbesondere der kulturelle Wert, bei einer Reduktion auf Information jedoch gar nicht zum Tragen kommt. Das Verstehen als Verständnis reicht nur soweit, wie eine gemeinsame Handlungsweise denkbar ist.
Die Loslösung des Verstehens von der Information illustriert Wittgenstein an Beispielkonstrukten, in denen er zu verdeutlichen versucht, daß Kommunikation überhaupt nicht auf die elementare Informationsübertragungsebene reduziert werden kann. Wittgenstein offeriert dafür ein sinniges Bild: „Wenn ein Löwe sprechen könnte, wir könnten ihn nicht verstehen“ (PU II xi; WA I: 568). Es ist sehr die Frage, ob Colón, wenn er denn in der Sprache der Eingeborenen Äquivalente für seine Worte gefunden hätte, in denen er die Inseln für die spanische Krone in Besitz nahm, in irgendeinem anspruchsvollen Sinn hätte verstanden werden können. Natürlich befinden wir uns bei dem feierlichen Sprechakt der Inbesitznahme des Landes nicht mehr auf der Ebene der Beschreibung, doch eben deshalb ist umso deutlicher zu bemerken, in welcher Weise die Wahrnehmung und Beschreibung des Landes selbst bereits in der konquistadorischen Perspektive stand. Das Gesetz der Beschreibung, in dem das Land als freie Natur erscheint, führt zum Gesetz der Verwaltung. Für die Eingeborenen aber spräche Colón als Löwe.
An ethischen oder ästhetischen Wertfragen , bei denen unmittelbar ein sozialer Organisations- und transzendenter Wertaspekt eine Rolle spielen - Fragen des Metaphorizitätsgrads 2 oder 3 in der skizzierten Skala -, tritt das Problem hinsichtlich im Grunde unentscheidbarer und unüberbrückbarer kultureller Differenzen besonders deutlich zutage. Um die Einschätzung einer solchen Sache zu beschreiben, „müßte man die ganze dazugehörige Umwelt beschreiben“, ein unmögliches Unterfangen[25]. In diesem Sinne fährt Wittgenstein fort: „Einen Satz ästhetischer Regeln vollständig beschreiben heißt in Wirklichkeit die Kultur der betreffenden Epoche beschreiben“[26] und er hält fest: „Zu einem Sprachspiel gehört eine ganze Kultur“[27]. Auf die unüberbrückbaren Differenzen zu anderen Kulturen bei hinreichender Verschiedenheit der Lebensformen weist Wittgenstein nochmals in einem berühmt gewordenen Gedankenspiel hin: „Wenn man auf den Mars käme, und die Menschen dort wären Kugeln mit Antennen, dann wüßte man nicht, wonach man Ausschau halten sollte“, <denn> „wir gehen nicht von bestimmten Worten aus, sondern von bestimmten Anlässen oder Tätigkeiten“[28]. Wir finden dergestalt bei Wittgenstein die wesentlichen Aspekte der Beschreibungsproblematik bei extremer kultureller Differenz ins Bild gefaßt. An ebendieser ein wenig überpointierten Stelle, verweist er auch auf den theoretischen sprachlichen Hintergrund: „Wir konzentrieren uns nicht bloß auf das Wort oder den Satz, ... sondern auf den Anlaß,..: den Rahmen“.
Ich will nicht weiter ausführen, in welcher Weise Wittgenstein aus seinen grundlegenden sprachphilosophischen Überlegungen kulturphilosophische Folgerungen ableitete. Da die geteilte Lebensform die Basis des Verständnisses abgibt, ist unmittelbar klar, daß er bei hinreichend grundlegenden Differenzen die Unmöglichkeit eines Verständnisses postuliert: „Wir können uns nicht in sie finden“. So schließt Wittgenstein einen Abschnitt ab, in dem er darlegt, daß ein Mensch für einen anderen ein völliges Rätsel sein kann. Er illustriert dies an der Begegnung mit einer fremden Kultur in einem fremden Land mit gänzlich fremden Traditionen. Die Kultur bleibt fremd „und zwar auch dann, wenn man die Sprache des Landes beherrscht. Man versteht die Menschen nicht“ (PU II xi; S.568). Dies ist Folge und Ausdruck des Gesetzes der Beschreibung.
Angewendet auf die historische Conquista können wir feststellen. Das Gesetz wirkt auf der begrifflichen Organisationsebene und kann sich im Geist der conquistadorischen Eigensprache und ihrer Begrifflichkeit, in concreto also des Spanischen, auf der Ebene der Information sogar der fremden Sprache bedienen.
Die Grundthese von Todorovs bemerkenswertem Buch: Die Eroberung Amerikas, würde ich daher gerade nicht teilen. Nicht „das Paradox des todbringenden Verstehens“[29] ermöglichte Cortés die Zerstörung des Aztekenreiches. Die verständnislose Reduktion und erfolgreiche funktionale Integration von Partikeln, also das Vernachlässigen des Verstehens – und der Verständigung – erleichterte die Eroberung. Das zeigt sich überdeutlich an einem von Todorov selbst gebotenen „kleinen Beispiel“, das Todorov etwas hilflos anempfiehlt, um „ über die Relativität der Werte nachzudenken“[30].
Die Geschichte erzählt von der rigorosen Bestrafung für einen Fall von Kannibalismus durch Cortés, bei dem dieser den des Kannibalismus überführten Indianer bei lebendigem Leib verbrennen ließ. Nicht, daß Todorov in seiner Problematisierung des Conquistadors: „kommt es uns (heute) kaum noch ‚zivilisierter‘ vor, einen lebendigen Menschen zu verbrennen, als einen toten aufzuessen“[31], falsch läge. Doch das ‚kleine Beispiel‘ zeigt, daß von einem Verstehen der Fremdkultur bei Cortés keine Rede sein kann. Das Fremde wird gemäß dem Gesetz der Beschreibung völlig unreflektiert im eigenen Rahmen wahrgenommen. Lyotard sieht in solchen Fällen zu Recht die Sprachstruktur als das Problem: „Ein Unrecht resultiert daraus, daß die Regeln der Diskursart, nach denen man urteilt, von denen der beurteilten Diskursart(en) abweicht.“[32] Cortés aber erkennt nicht einmal die Natur der Differenz. Ob man dann bei symbolischen Teilkenntnissen und Fähigkeit zu manipulativer Kommunikation von 'Verstehen' sprechen sollte, steht doch dahin.
Daß die partielle Identifikation mit den Indigenen prinzipiell als Modifikation und Bereicherung der Kulturen denkbar wäre – mit vielerlei Problemen – dafür haben wir mit Gonzalo Guerrero, der nach einem Schiffbruch im Jahre 1511 sich in die indianische Gesellschaft der Maya auf Yucatan integrierte oder auch mit Alvar Nunez Cabeza de Vaca Beispiele[33]. Doch diese Einzelfälle zeigen nur die Möglichkeit von Kulturbegegnung auf, echte Rahmensprengungen und Perspektivenwechsel zwischen den Kulturen leisten sie nicht.
Doch in Bezug auf menschliche Kulturen deutet dies zweifellos auf eine relativ einfache Möglichkeit hin, den Fallstrick des Gesetzes der Beschreibung, der uns ins Netz der eigenen kollektiven Projektionen stürzen läßt, zu umgehen. Man muß, unter vorläufigem Verzicht auf die theoretische Beschreibung sozialer Ordnungen und gar abstrakter Wertsysteme im eigenen Sprachspielrahmen, die weitgehende Teilhabe an der fremden Kultur suchen. 'Make up the rules as we go along' (PU 83). Der Schlüssel für das Verstehen liegt in einer Art Unterwerfung unter das Kriterium des Anderen. Das ist zunächst ein generelles logisches Erfordernis für die Etablierung einer Regel, wie sie als Regel über den Sprachgebrauch auch die Bedeutung der Worte bestimmt. Gewendet in ein existentielles Moment, das den Verzicht auf Definitionsmacht einschließt, ist es die ungesicherte Lösung. Wenn man der Fesselung durch den eigenen Beschreibungsrahmen entgehen will, kann dies jedenfalls entsprechend diesem Strukturmuster geleistet werden.
In den Fällen partieller Identifikation mit den Indigenen erschwerte jedoch ein Moment das Vermittlungs – und Modifikationsspiel der Kulturen. Die Beschreibungen der Kulturen der Indianer in ihrer Eigenweltlichkeit und Eigenwirklichkeit erfolgten auch bei Anerkennung ihrer Eigenheit in der Perspektive, daß die Indianer zur christlichen Religion zu bekehren sind. Die Antwort auf unsere früher aufgeworfene Frage: 'war für die fremde Ratio Platz?', kann daher nur lauten: ‚Theoretisch ja!‘ – Jedoch – nur theoretisch.
Selbst eines der beeindruckendsten Denkmäler aztekischer Artikulation, das in der Erwiderungsrede aztekischer Priester im 7. Kap. der Colloquios y doctrina christiana[34], von Sahagún als Eigenartikulation der anderen Seite präsentiert wird – die Gespräche fanden 1524 statt – weist im Fortgang eine leichte Strukturparallele zum imperialen Requerimiento von Palacios Rubios aus dem Jahr 1514 auf.[35]
Im 8. Kap., wenn nach den Aztekenführern wiederum die ersten Missionare sprechen, kommt nach der wohlwollenden Entschuldigung der Ungläubigen und der auf die alten Götter verpflichteten Azteken, die Volte: „Aber jetzt, wenn ihr nicht hören wollt, den Hauch, das Wort Gottes, ..., werdet ihr sehr große Gefahr laufen. Und Gott, der angefangen hat mit Eurer Vernichtung, wird es zu Ende führen, (daß) ihr ganz zugrunde gehen werdet.“[36]. Man kann daran sehen, daß die aztekische Rede doch in starkem Ausmaß eine Figuration im narrativen Kontext spanischer Missionierung war und die Azteken Figuren im spanischen Welttheater. Das Eigene der Azteken erscheint so lediglich als das spanische Fremde. Man blieb im Prinzip in der Beschreibungsfalle und warf den Objekten, die ja selbst Subjekte und Kulturträger waren, das eigene Projektionsnetz über.
Das hatte natürlich mit der historischen Einbettung zu tun, daß die prinzipielle Anerkennung der Indios als Menschen durch die Kirche[37] mit der Feststellung verbunden war, daß die Indios die Fähigkeit haben, den christlichen Glauben anzunehmen und zu verstehen. Ihr Personstatus wurde so an einem kulturspezifischen Beschreibungsmerkmal festgemacht. Doch taugt diese Tatsache nicht für vorschnelle Polemik, da ja nicht das Faktum, sondern die Möglichkeit als Auszeichnungsmerkmal verstanden wird. Allerdings kann man zweifellos mit Erdheim und Fink-Eitel sagen, daß Las Casas auf dieser Basis eine projektive Ethnologie betrieb[38], deren idealisierender Grundzug eine klassische Ausformung des Gesetzes der Beschreibung darstellt.
Oviedo, der von Erdheim als Antagonist von Las Casas und Indianerverächter gleichwohl - und nicht zu Unrecht – unter dem Blick auf die Beschreibungsstruktur parallelisiert wird, soll mir zum Schluß als Anknüpfungspunkt dienen, von der abstrakten Eroberung durch das Gesetz der Beschreibung zur fatalen Tatsache des faktischen Verlaufs der Conquista überzuleiten.
Bei den ersten Begegnungen mit primitiven Lebensformen von Eingeborenen, ergab sich aus dem zur Verfügung stehenden Beschreibungsapparat eine Klassifikationsmöglichkeit, die auf der Basis des vorgegebenen Beschreibungsschemas zwei Verortungen nahelegte: a) die Indios sind tierähnlich wild und gefährlich (Kariben) oder b) die Indios sind in einem paradiesischen Unschuldszustand. Selten wurde vergessen, auf die Nacktheit, die bereits Colón als erstes Bestätigungsmerkmal für den Naturzustand und das Fehlen der Kulturisation erschien, hinzuweisen. Motiviert war dies vom biblischen Bericht des Sündenfalls. Doch in anderer Form bestätigte der Hinweis statt des Zustands der Unschuld einen tierähnlichen Status. Das Fehlen der Kleidung wurde als Zeichenverweis auf die Bestialität der Nackten ausgelegt. Diese Kennzeichnungen, die geradezu als Musterfall für die prägende Kraft des Gesetzes der Beschreibung genommen werden könnten, ermöglichten zugleich in einfacher Form die Instrumentalisierung. Unter dem klassischen Ordnungsschema Barbaren vs. Zivilisierte listete Oviedo bei ersteren alles auf, was ihn unter zivilisiertem spanischen Blickwinkel moralisch verwerflich dünkte, von sexuellen Gebräuchen bis zu Kannibalismus und Menschenopfer, und zog den Schluß, daß die Indianer nur ein tierisches Verständnis haben. Es ist überaus charakteristisch, daß Oviedo bei der Kultur der Azteken, auf die natürlich nicht ohne weiteres die erhobenen Beschreibungen primitiver Sprach- und Kulturgemeinschaften zutreffen, die Legitimationsregeln für die Eroberung einfach übertrug.
Das zeigt bereits an, daß die Beschreibung nicht lediglich auf den alten Projektionsparadigmen fußte, sondern daß eine jeweilig verschiedene Instrumentalisierung dieser Beschreibungen erfolgte, die sich nach den Zielvorstellungen des Augenblicks richtete. Die Folgen aus dem Gesetz der Beschreibung vermischen sich mit gesuchten und behaupteten Implikationen, die sich der Beschreibungen lediglich funktional bedienen.
Folgen wir ein wenig der Beschreibungslinie, die oft als charakteristischste Projektion der Conquista aufgefaßt wird: das Goldland.
Es mag zu billig erscheinen, wenn man auf die Goldgier der Spanier, als Ursache des Völkermordens verweist, doch es lohnt sich, den Gedanken zumindest zu prüfen, ob nicht die Beschreibung der terra ignota als Goldland wesentlich die unheilvollen Struktur-Bedingungen schuf, die dann in der praktischen Ausgestaltung zu weitgehender Vernichtung der indigenen Strukturen führte. Gold ersetzt die Ratio, bzw. Gold ist die Ratio des Handelns und die Indianer werden zum Opfer, ob sie nun als Hindernis erscheinen oder als Mittel zum Erlangen des Goldes betrachtet werden.
Der codicía, der phantasmagorischen Gier nach Reichtum, spielt dabei die ursprüngliche Wahrnehmung des Landes in der Entdeckung der Neuen Welt in die Hände. Zunächst entdeckten, wie gesagt, die Entdecker ihrem eigenen Bewußtsein nach freies Land, das in Besitz genommen werden kann. Es ist dies vielleicht eines der augenfälligsten Beschreibungsphänomene. Nur, wenn wir in der Lebensform eine institutionelle Auszeichnung des Landbesitzes und der Landverteilung kennen, ergibt sich für die Beschreibung des entdeckten Landes die Opposition: herrenloses Gebiet und Herrschaftsbereich. Nehmen wir an, eine indigene Kultur verzichtete auf die Artikulation eines Herrschaftsanspruchs und eine Besitzverteilung des Landes, dann erschiene alles bewohnte Land genauso frei wie unbewohntes Land. Der höfliche Konquistador hätte die Frage stellen können: wem gehört dieses Land? - und, sofern die fremden Beschreibungskategorien keinen Anspruch zu artikulieren vermögen, dieses Land für die Krone oder für sich selbst, je nach dem institutionellen Gefüge der eigenen Beschreibungskategorien in Besitz nehmen. Sicher, das Beispiel ist rein fiktiv.
Doch ist das Lächerliche der formellen Besitznahme durch Colón (11.10.1492), das Todorov in seiner Darstellung ironisch unterstreicht[39], einfach lächerlich? Colón folgt dem Gesetz der Beschreibung gemäß den Konstitutionsbedingungen des vertrauten Sprachspiels. Die Sprache ist in dieser Weise Begleiterin des Imperiums. Und dieser imperiale Gestus wurde dann gleichsam auf der Basis von Familienähnlichkeit auf andere Fälle analog übertragen, so daß die Hochkulturen der Mayas, Azteken oder Inka unter dasselbe Gesetz zu fallen schienen.
Die von José de Acosta 1588 geleistete theoretisch-praktische Begründung für Missionstätigkeit in Abhängigkeit vom Zivilisationsgrad, auf die Dieter Janik als Erklärungsmodell für die Auslöschung der Kulturen der Neuen Welt in Gegensatz zu den Fremdkulturen der Alten Welt des Ostens hinweist[40], bietet uns einen wichtigen Fingerzeig. Acosta unterscheidet zwischen Wilden wie den Kariben oder den Tupinambas in Brasilien, die zuerst erobert und dann missioniert werden sollen und zivilisierteren Völkern, wie Azteken und Inka, die zuerst missioniert und dann politisch integriert und stabilisiert, also danach erobert werden sollen, auf der einen Seite, und den hochentwickelten Japanern auf der anderen Seite. Bei letzteren verbietet sich eine politische Unterwerfung völlig.
Das Beschreibungs- und Klassifikationsschema, das hier zugrundegelegt wird, akzeptiert das fremde Weltbild im Prinzip. Die Japaner treten auf als das Andere, das gleiche Rechte hat. Das fremde System Japans wird aber gerade als gleichgeartete politische Organisation begriffen. Man könnte mit diesen Fremden in Streit geraten über einzelne politische Fragen, aber man würde nie zur Infragestellung der Politikfähigkeit gelangen.
Eine solche Infragestellung der Politikfähigkeit war aber zumindest bei der Begegnung mit den primitiven Kulturen der Neuen Welt die selbstverständliche Grundlage des Handelns. Die später entdeckten Hochkulturen Mittel- und Südamerikas wurden nach analogem Muster zu den wenig ausdifferenzierten, primitiven Kulturen behandelt.
Beide Fälle unterscheiden sich im Grunde auch nach dem Selbstverständnis der Eroberer fundamental. Doch, hatte man auf den zuerst entdeckten Inseln bereits ein Verfahren etabliert, folgte man nun der Regel für die dort durchgeführte Conquista. Gleichzeitig spielt dabei herein, daß das gesuchte Land, das Goldland, als Projektion immer ausständig blieb. Deshalb war die Conquista wesensmäßig transitorisch und imperial. Es gab beispielsweise kein Organisationsproblem in dem Sinne, daß eine eigene Polis etabliert wurde, die in ein Anerkennungsverhältnis zu indigenen Staatengemeinschaften treten würde. In der Verfolgung des abstrakten Anspruchs auf die unerhörten Reichtümer mußte stattdessen praktisch alles unterworfen werden. Und alles noch nicht erforschte Gebiet war Verheißung des ausstehenden Reichtums und Unterwerfungsobjekt zugleich. Die Chimäre 'El Dorado' implizierte als Gebot der Beschreibung die Notwendigkeit, die Erfüllung weiter zu suchen und bedingte gleichzeitig die Notwendigkeit der Unterwerfung all jener, die möglicherweise über den Zugang zu diesen Schätzen verfügten.
Wenn ich in solch schlagwortartiger Verkürzung das Strukturproblem eines Gesetzes der Beschreibung beleuchte, das uns unvermeidbar in unsere eigenen Projektionen verstrickt, dann erliege ich mit dem Mythos El Dorado natürlich selbst ein wenig einer solchen Verführung.
Deshalb möchte ich zum Schluß vor den sekundären Fallen eines Gesetzes der Beschreibung warnen. Es sollte uns immer verdächtig erscheinen, wenn wir nur mehr Bestätigungen erhalten. Vielleicht sind wir dann lediglich dabei, den Strukturrahmen unseres Wissenschaftsdiskurses mit den eigentlichen Phänomenen zu verwechseln.
Bezogen auf das Dargelegte können wir im Blick auf Lateinamerika folgern, daß wir auf heutige Kultur-Differenzen auch deshalb achten müssen, weil an den feststellbaren Differenzen, die Residua jenes Anderen, das der Zerstörung anheimfiel, möglicherweise bewahrt werden. Feststeht, daß sich in den Gebieten der Conquista Lebensformen etablierten, die neben der Parallelität zu dem Europa der Konquistadoren, in der geschichtlichen Entwicklung auch eine spezifische Differenz erkennen lassen. Bitterli vermerkt zwar in "Die 'Wilden' und die 'Zivilisierten"', daß die „Zeiten einer Reflexion des europäisch-überseeischen Verhältnisses ... vorbei sind“[41]. Doch notwendiger scheint eher eine erneute Reflexion. Es gilt zu bedenken, daß möglicherweise unter dem Gesetz einer Beschreibung, die sich quasi-emanzipatorisch die Sache der ausgerotteten Kulturen zum Anliegen macht, eine funktionalistischer, politisch korrekter Rahmen etabliert wird, der die Stimme autochthoner Bevölkerung zu seiner eigenen erklärt und in paradoxer Form gegen die Eigenheit einer mestizierten Kultur wendet. Wenn Dieter Janik am Ende des von mir oben herangezogenen Essays zur Problematik des Fremd- und Selbstverständnisses der Kulturen der Neuen Welt darauf hinweist, daß „die größte Sorge verantwortungsbewußter Intellektueller der einstmals ‚Neuen Welt‘ (ist), daß unter dem Leitbild des an technologischer Rationalität und wirtschaftlicher Effizienz orientierten westlichen Menschen eine neue Kulturzerstörung eintritt“[42], dann benennt dies die greifbare Gefahr, die dem Gesetz der Beschreibung innewohnt. Das Gesetz der Beschreibung in solch universalistischem Sinn wird heute maßgeblich von den Vereinigten Staaten artikuliert und von der übrigen Welt als Globalisierungsstrategie erfahren. Wie bei Colón erscheinen die idiosynkratischen Elemente fremder Kulturen einerseits einem missionarisch vertretenen ideologischen Anspruch unterworfen, der universalistisch die richtige Position der Fremdkultur gleich mitartikuliert, und andererseits in einen funktionalistischen Verwertungszusammenhang gebracht, der den wirtschaftlichen Nutzen zur Ratio der eigenen wie der fremden Kultur erklärt. Bona Fide natürlich.
Die Länder, die dem Schock der Conquista, der mehr als ein Kulturschock war, ausgesetzt waren, scheinen bei dieser Konstellation in zweifacher Hinsicht Schlüsselkulturen für die Begegnung und den Aufeinanderprall der Kulturen zu sein. Die Frage stellt sich in folgender Form: a) Inwiefern gelingt es, die fast unmerklichen Kraftlinien der bewahrten Reste indigener Bestandteile als strukturelle Entwicklungskräfte zu nutzen und b) wieweit läßt sich die synkretistische Eigenheit der vorliegenden Kulturen gegen die Gewalt der usurpatorischen Beschreibung der neuen 'Alten Welt' des Kapitals, das die alte 'Alte Welt' des Glaubens ersetzt hat, in eigener Sache und damit eigener Artikulation festhalten? Das Eigene des Anderen wäre dann nicht als das richtige Bild der Welt, sondern als anderes Bild einer alternativen Beschreibung bewahrt.
Literaturliste:
Bitterli, Urs (291) Die Wilden und die Zivilisierten. München.
Castañeda, Felipe „Die Sprache des Anderen“, Vortrag im Rahmen des Kongresses: Das andere Ich – Differenz und Andersheit. (Mainz, 26.6.1997) <unveröffentlicht>.
Erdheim, Mario (90) „Anthropologische Modelle des 16. Jahrhunderts“ In Marschall, W. (ed) (90) Klassiker der Kulturanthropologie, München, S. 19-50.
Fink-Eitel, Hinrich (94) Die Philosophie und die Wilden. Hamburg.
Janik, Dieter (92) „ ‚... verdienet nicht ein Mensch zu sein‘ Fremdverständnis und Selbstverständnis der Menschen und Kulturen der Neuen Welt zum Zeitpunkt der Conquista“ In: ders. Stationen der spanisch-amerikanischen Literatur- und Kulturgeschichte. Frankfurt a.M., S. 11-25.
Köhler, Ulrich (77) Conbilal C‘ ule-lal . Grundformen mesoamerikanischer Kosmologie und Religion in einem Gebetstext auf Maya-Tzotzil. Wiesbaden.
Kripke, Saul (82; dt.87) Wittgenstein über Regeln und Privatsprache. München.
Levinas, Emmanuel (dt.83) Die Spur des Anderen, Freiburg.
Lévi-Strauss,Claude (52;96) "Rasse und Geschichte" In. Konersmann, R. (Hg) (96) Kulturphilosophie. Leipzig, S.168-221
Lyotard, J.-F. (81; dt. 289) Der Widerstreit, München.
---.-- (88;dt.89) Das Inhumane. Wien
Todorov (82;dt.85) Die Eroberung Amerikas. Das Problem des Anderen. Frankfurt a.M.
White, Hayden (73; dt.91) Metahistory. Frankfurt a.M.
---.-- (86; dt.91) Auch Klio dichtet oder die Fiktion des Faktischen. Stuttgart.
Wittgenstein, Ludwig (53; 790) Philosophische Untersuchungen. In: Werkausgabe I. Frankfurt a.M.: Suhrkamp (stw 501)
---.-- (89) Vortrag über Ethik und andere kleine Schriften. Frankfurt a.M.
---.-- (66; dt.271) Vorlesungen und Gespräche über Ästhetik, Psychologie und Religion. Göttingen.
* Der folgende Text gibt die umfassendere, deutsche Ursprungsfassung des in Concepciones de la Conquista. Aproximaciones Interdisciplinarias. Eds. Castañeda, F./ Vollet, M., Bogotá, S. 45-61 veröffentlichten Vortrags "La ley de la descripción" beim 4. dt.-kolumbianischen philosophischen Kolloquium in Bogotá 26.-31.3. 2000 wieder. Dieser spanische Text ist, naturgemäß in modifizierter Weise, inhaltlich integraler Bestandteil der längeren deutschen Fassung.
[1] Aristoteles Metaphysik 980 a 23f
[2] Wittgenstein, Ludwig Philosophische Untersuchungen, IIxi (Werkausgabe I: 529); in einer Weiterentwicklung von Wittgensteins Überlegungen zum 'Sehen als' werde ich eine kulturphilosophische Anwendung vorschlagen.
[3] Bitterli würde Amerigo Vespuccis Wahrnehmung <Amerikas*> als eigentliche Entdeckung werten und fragt sich wegen der Irrtumsverhaftetheit des Colón: „mit welchem Recht loben wir Colón für ein Verdienst, dessen er selbst sich gar nicht bewußt war“? (Bitterli (291) Die Wilden und die Zivilisierten. München, S.73). Eine solche Auffassung unterliegt jedoch der Gefahr, so etwas wie eine ‚eigentliche‘ Beschreibung anzunehmen, für die Vespucci creditiert würde. Obwohl Bitterli theoretisch die relative Bezogenheit aller Entdeckungen auf bestimmte Standpunkte unterstreicht.
[4] Cf. zur Kennzeichnung von Colóns Blick auf den Fremden als ‚phantasmagorisch‘ Hinrich Fink-Eitel (94) Die Philosophie und die Wilden. Hamburg, S. 97ff.
[5] Lediglich zur Beleuchtung des Hintergrunds verweise ich auf Hayden Whites Reflexionen der Geschichtsschreibung. Sein explizit ausgewiesenes Ziel: „ die zu allen Zeiten in der Geschichtswissenschaft ... eingesetzten besonderen poetischen Elemente aufzudecken“ (White, H. (73; dt.91) Metahistory. Frankfurt a.M., S. 11) geht von dieser projektiven Kraft der Wahrnehmung und Beschreibung als Voraussetzung aus. Cf. in unserem Zusammenhang auch die Aufsätze zu den „Formen der Wildheit“ und dem „Thema des edlen Wilden als Fetisch“ in Hayden White (86; dt.91) Auch Klio dichtet oder die Fiktion des Faktischen. Stuttgart.
[6] An jedem Formular können wir die Normativität der Rahmenbedingungen und die Begrenzung der Beschreibungsmöglichkeiten durch vorformulierte Erwartungshaltung erfahren. Aber in allen nur denkbaren Kommunikationssituationen stoßen wir auf die Struktur. So illustriert Franz Kafkas Erzählung „Der Heizer“ dies beispielsweise auf der Ebene des Soziolekts. Der Heizer vermag das Unrecht, das ihm widerfährt, nicht in der adäquaten Form zu beschreiben. Da er gegen die Norm der Beschreibung verstößt, sieht es so aus, als gäbe es das widerfahrene Unrecht gar nicht.
[7] Lehmann, Walter (49) Sterbende Götter und christliche Heilsbotschaft. 'Colloquios y doctrina christiana' des Fray Bernardino de Sahagun aus dem Jahre 1564. Hg. von G.Kutscher, Stuttgart.
[8] Wittgensteins Skepsis gegenüber den ethnologischen Überlegungen von J. G. Frazer, bezieht sich auf solche Erklärungsversuche. Wenn Wittgenstein in den „Bemerkungen über Frazers Golden Bough“ feststellt: „Nur beschreiben kann man hier“ (Wittgenstein,L. (89) Vortrag über Ethik und andere kleine Schriften. Frankfurt a.M.: 31), dann denkt er an eine elementare Beschreibung der physischen Gegebenheiten in Gegensatz zu kultureller Deutung und Bedeutung. Doch ist auch anzumerken, daß er zu diesem Zeitpunkt (1931) die Sprachspieltheorie noch nicht voll ausgearbeitet hatte. Jedenfalls sind höherstufige Beschreibungen ähnlich problematisch wie Erklärungen.
[9] Cf. zu diesem Fragekomplex die erhellenden Beobachtungen von Claude Lévi-Strauss (52;96) "Rasse und Geschichte" In. Konersmann, R. (Hg) (96) Kulturphilosophie. Leipzig, S.168-221.
[10] Der Ethiker Emmanuel Levinas sieht denn auch im ‚Verstehen’ konsequent eine Form der Aneignung des Anderen durch das ‚Selbst’. Cf. beispielsweise in der Aufsatzsammlung Levinas, E. (dt.83) Die Spur des Anderen, Freiburg, S. 76f zum Seinsverstehen Heideggers und 107f, sowie 117f in systematischer Perspektive.
[11] Eine aus europäischer Perspektive ganz natürliche Kennzeichnung wie ‚indigene Fremde’ bringt in aparter contradictio in adiecto das Problem des konquistadorischen Entdeckers zum Ausdruck.
[12] Moctecumahs Verhalten gegenüber den Spaniern etwa war für die Zeitgenossen wie für uns heutige schlicht unverständlich. So sieht dies letztlich auch Todorov (82;dt.85) Die Eroberung Amerikas. Frankfurt a.M., obwohl er für dieses Verhalten eine rhetorische Ratio konstruiert, die auf zeichentheoretischen Erwägungen beruht (cf. den Abschnitt „Moctecuma und die Zeichen“ (S.80-120). Das Unverständnis selbst der zeitgenössischen Chronisten ist den zuvor bei Todorov (S.71ff) referierten Quellen gut zu entnehmen.
[13] Jean-Francois Lyotards Unterscheidung zwischen (entscheidbarem) Rechtsstreit (litige) und (unlösbarem) Widerstreit (différend) weist auf dieselbe Problemkonstellation hin, wobei die mit Widerstreit angezeigte unlösbare Differenz dennoch noch nicht die Schärfe der Differenz zwischen den verschiedenen Kulturen erreicht, die im Zuge der Conquista einander gegenübertraten. Cf. Lyotard, J.-F. (81; dt. 289) Der Widerstreit, München.
[14] Cf. etwa den Gebetstext auf (Maya-) Tzotzil in Köhler, Ulrich (77) Conbilal C‘ ule-lal . Grundformen mesoamerikanischer Kosmologie und Religion in einem Gebetstext auf Maya-Tzotzil. Wiesbaden. Interessant ist Köhlers Hinweis: „Außerhalb des Hochlandes von Chiapas findet sich die nächste Parallele zum ... Gebetstext nicht in rezenten ethnographischen Berichten, sondern in einem Text auf Nahuatl, den Ruiz de Alarcón um 1625 in Zentralmexiko aufzeichnete.“ (Köhler, S.3).
[15] Ich nehme diese Einschränkung deshalb vor, weil damit die Frage nach einer kulturtranszendenten Beschreibungsebene für naturwissenschaftliche Sachverhalte ausgeklammert bleibt. Für kulturspezifische Deutungen hat Felipe Castaneda auf die Möglichkeit theoretisch unüberbrückbarer, unaufhebbarer, eventuell unbenennbarer Differenzen im Verstehen verschiedener Sprachen/ Kulturen hingewiesen und als Beispiel Las Casas benannt. Castaneda, Felipe „Die Sprache des Anderen bei Wittgenstein“, Vortrag im Rahmen des Kongresses: Das andere Ich – Differenz und Andersheit. (Mainz, 26.6.1997).
[16] Wittgensteins Regelbegriff, der grundlegend für Semantik wie Pragmatik einer Sprache ist, hat einen sozialen, einen praktischen und einen paradigmatischen Aspekt.
[17] Cf. Kripke, S. (82; dt.87) Wittgenstein über Regeln und Privatsprache. München.
[18] Es braucht im Grunde dafür keine Beispiele, sie sind abundant. Ich verweise auf eine Stelle in einem Brief (13.12. 1493) von Pedro Martyr de Anghiera (1459-1526) zur Entdeckung der Eingeborenen durch Colón. „Viget inter eos, quamvis nudi sint, imperio cupido“ (Obwohl nackt, herrscht bei ihnen ein Streben nach herrschaftlicher Ordnung). Zugeschriebener Kulturmangel und angestrebte Übernahme des spanischen Kultur- und Herrschaftsangebots lenken suggestiv und implizit die Beschreibung.
[19] Vgl. Todorov, a.a.O.: 275, der auf die interessante Tatsache hinweist, daß Sahagún in der Beschreibung des Götterpantheons der Azteken zwischen ‚Teufel‘ und ‚Göttern‘ als Beschreibungstermen abwechselt. Ob man daraus, wie Todorov meint, folgern sollte, daß er das Fehlen eines Systems zum System macht, scheint mir recht fraglich. Ist es nicht viel plausibler, die Prädikation ‚Teufel’ als eine Folge der Optionen, die das akzeptierte, eigene Beschreibungssystem bietet, anzusehen?
[20] In gewisser Weise stimmen in dieser Situierung des kategorialen Apparats Quine, Wittgenstein und Heidegger überein, wenngleich sie grundverschiedene Folgerungen daraus zu ziehen geneigt sind.
[21] Cf. Lyotard, J.-F. (88;dt.89) Das Inhumane. Wien, S. 223.
[22] Es wäre interessant, der Frage nachzugehen, ob nicht die neuzeitliche Handels- und Erschließungsperspektive, die für die conquistadorischen Linien der Beschreibung so charakteristisch wurde, bereits im 12. Jh. bei Hugo von St. Victor (+1141) in der Aufwertung der Schiffahrt in seinem Didascalicon angezeigt ist.
[23] Todorov a.a.O., S. 205, spricht hinsichtlich Las Casas von „einer Rückkehr ins Mittelalter (gewissermaßen)“. Cf. auch Schülting, S. (97) Wilde Frauen, Fremde Welten. Reinbek, S. 28, die, freilich in fraglicher Weise, eine „Auflösung der mittelalterlichen Raumkonzeption“ mit einer Veränderung der Geschlechterdifferenz koppelt.
[24] Wittgensteins Holismus wird allgemein mit dieser Stelle verknüpft.
[25] Wittgenstein, Ludwig (66; dt.271) Vorlesungen und Gespräche über Ästhetik, Psychologie und Religion. Göttingen, S. 27: „Es ist nicht nur schwierig zu beschreiben, worin eine solche Einschätzung der Sache besteht, es ist unmöglich“.
[26] A.a.O., S. 28, Fn. 20.
[27] A.a.O., 29.
[28] Wittgenstein, Vorlesungen und Gespräche über Ästhetik ..., S.21
[29] Todorov, a.a.O.: 155
[30] Todorov, a.a.O., S. 214.
[31] Todorov, ibid.
[32] Lyotard, J.-F. (81; dt. 289) Der Widerstreit, München, S.9
[33] Cf. dazu Todoriv, a.a.O., S.233 ff.
[34] Cf. Lehmann, W. (49) Sterbende Götter und christliche Heilsbotschaft, a.a.O.
[35] Natürlich lassen sich beide Texte nicht vergleichen. Cf. Todorov, a.a.O.: 179 „Die Superiorität derer, die das Requerimiento verkünden, ist sozusagen bereits in der Tatsache enthalten, daß sie es sind, die sprechen, während die Indianer nur zuhören“
[36] Lehmann, W. (49), a.a.O.: 109.
[37] Bulle Sublimis Deus von Paul III. (1537)
[38] Cf. Fink-Eitel (94) Die Philosophie und die Wilden, S. 106ff; s. auch Erdheim, Mario (90) „Anthropologische Modelle des 16. Jahrhunderts“ In Marschall, W. (ed) (90) Klassiker der Kulturanthropologie, München, S. 19-50, bsds. 26ff.
[39] Todorov (82; dt.85) Die Eroberung Amerikas. Das Problem des Anderen. Frankfurt a.M., S. 40: „Colón geht in einem mit dem königlichen Banner geschmückten Boot und in Begleitung seiner zwei Kapitäne sowie des mit seinem Tintenfaß bewaffneten Notars an Land. Unter den Augen der vermutlich völlig verdutzten Indianer ... läßt Colón eine Urkunde ausfertigen“ Diese Todorovsche Beschreibung des Vorgangs zeigt im Übrigen mehr oder weniger sublime Aspekte der Verpflichtetheit der Beschreibung auf Vorgaben jetzt geltender Ordnungsstrukturen. Das Gesetz der Beschreibung sinnt eine natürliche Lesart und Bewertung an – notwendigerweise auch für Todorov. Cf. auch die Schilderung derselben Szene bei Bitterli (291):88, der sie zurecht unter die Überschrift: „Absurdität des Zusammentreffens“ stellt. Aber im Sprachspiel eines Spaniens des 15. Jhs. agierte Colón normal.
[40] Der kurze Aufsatz von Dieter Janik „ ‚... verdienet nicht ein Mensch zu sein‘ Fremdverständnis und Selbstverständnis der Menschen und Kulturen der Neuen Welt zum Zeitpunkt der Conquista“ (In: Janik, D. (92) Stationen der spanisch-amerikanischen Literatur- und Kulturgeschichte. Frankfurt a.M., S. 11-25) offeriert einen guten Überblick über Strukturmuster, Argumentationsformen und paradigmatische Einzelfälle der Kulturbegegnung.
[41] Bitterli (291), a.a.O.: 439.
[42] Janik, D. a.a.O., S. 25.