HS Medienethik
SS 2001 J. Rauscher
Univ. Mainz

 

Literaturhinweise:

Die Literaturhinweise sind seminarspezifisch und weisen praktisch ausschließlich Literatur bibliographisch nach, die in der einen oder anderen Weise (einzelne Essays) für den problemorientierten, speziellen Teil des Seminars als Grundlage dienen sollen. Über diese relativ aktuellen Werke erschließt sich zudem in einfacher Weise weiterführende Literatur.

 

Einige zugängliche Monographien und Materialsammlungen:

<ich werde versuchen die entsprechenden Werke für einen Semesterapparat zusammenzubekommen, doch kann ich das im Augenblick nicht garantieren>

 

Holderegger, Adrian (Hg) (99) Kommunikations- und Medienethik. Interdisziplinäre Perspektiven. Freiburg Schweiz-Wien: Herder

<ein sehr weit gestreuter Reader, der einige anregende Beiträge beinhaltet; von denen ich den des Herausgebers und den von Debatin (zusammen mit dem von Funiok)  besonders relevant finde>

 

Kieran, Matthew (97) Media Ethics. A Philosophical Approach. London: Praeger.

<Relativ stark konzentriert auf Fragen der angewandten Ethik im journalistischen Bereich. Als entscheidende Frage benennt er: „was konstituiert ethische Medienpraxis und warum“ (VII). Er scheint ethisch hier im Sinne von ‚moralisch richtig oder adäquat’ zu verstehen und betont als philosophische Dimension den Begründungs- und Rechtfertigungsaspekt (z.B. im Blick auf Zensur oder Täuschung). Daneben sieht er - richtig - in der Klärung einander entgegenstehender Ansprüche (z.B. Privatheit und Öffentlichkeit; Kap. 4) die philosophische Frage Bedeutung gewinnen. Er weist auf einen Widerspruch zwischen journalistischer Professionalität und Berücksichtigung ethischer Maximen hin, vor dem man jedoch, seiner Auffassung nach,  philosophisch (angewandte Ethik) nicht die Segel zu streichen braucht. Die Arbeit liefert keine systematische Studie zur Medienethik und häufig wird ein medienethischer Problempunkt im Sinne theoretischer Auseinandersetzung auch nicht erreicht, doch bieten die einzelnen Abschnitte in ihrer konkreten Problemorientiertheit sehr gut die Möglichkeit, die Fragen auf medienethische Grundlagenreflexion weiterzudenken.>      

- für eine Orientierung gut brauchbar. Die Abschnitte 4-7 lassen sich für die im zweiten Teil des Seminars anvisierten Fallbetrachtungen gut heranziehen.

 

Kieran, Matthew (98) (ed) Media Ethics. London: Routledge

<Aus diesem Reader, der verschiedene Autoren zu verschiedensten Problemen zu Wort kommen läßt - u.a. einen Kriegsberichterstatter (M. Bell) mit einem originellen und problematischen Plädoyer für parteiergreifenden Journalismus (Journalism of attachment) und Gewaltbilder - können und sollten einige Aufsätze als Stütze und Focussierung für die eigene Problemerarbeitung herangezogen werden. Der erwähnte Essay von Bell bringt hochinteressante Überlegungen, obwohl er die medienethische Problematik m.E. überhaupt nicht erfaßt. Das macht ihn aber für eine Sensibilisierung bezüglich der Notwendigkeit medienethischer Reflexion im Blick auf  die unberücksichtigten Fragestellungen besonders geeignet - auch wenn ich ihn im Seminar nicht gesondert zu behandeln gedenke. Doch eine der wesentlichen Aufgaben von Medienethik ist es, die aus der spezifischen Mediennatur erwachsenden und oft übersehenen ethischen Implikationen vor Augen zu stellen, wenn wir auf der Basis medienneutraler Ethik glauben, bestimmte Maximen etablieren zu können. Wie leicht es zu plausiblen Verkürzungen der medienethischen Fragestellung kommen kann, läßt sich an dem Aufsatz von Bell gut abnehmen.

Ansonsten würde ich für eine Einbindung in Diskussionsfragen um Photographie und Fernsehen - eine Hauptschiene des Seminars -, die Essays von Warburton (10) und Noel Carroll (11) in jedem Fall berücksichtigen wollen, andere wie 5 oder 7 scheinen mir empfehlenswert und wären je nach Themenstellung für entsprechende Diskussionen, heranzuziehen . 

 

Wiegerling, Klaus (98) Medienethik. Stuttgart/ Weimar: Metzler

<Der handliche Band erweist den Autor als einen mit den verschiedensten Problemen und Fragestellungen vertrauten Autor, der ein breit gestreutes Fachwissen zu einer Vielzahl von Autoren und Sachthemen ausbreitet und redlich versucht, allen Aspekten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Das bedingt eine starke Heterogenität, und die Schwäche des Buches liegt darin, zu ungeordnet Material zu versammeln, ohne zu einer philosophischen Perspektive durchzudringen. Im Prinzip werden zu viele Informationen geboten, ohne daß eine eigene Sicht der Sache entwickelt und vertreten wird, was zu einer gewissen Beliebigkeit führt. Da kann es auch nicht verwundern, daß im Versuch, alles zu nennen und kurz zu referieren, einige Autoren - wie Flusser oder Virilio - in unangemessener, nahezu verstellender Verkürzung vorkommen und einige triviale und untaugliche Differenzierungen, die der Autor selbst nicht einmal vertritt, gleichsam aus Chronistenpflicht ausgebreitet werden. Das leider unstrukturierte Literaturverzeichnis, das dadurch auch eine Anzahl für medienethische Fragen irrelevante Titel enthält, ist gleichwohl eine gute Orientierungshilfe. Da ich den Autor gut kenne, bin ich mir sicher, daß er selbst, in Person, es blendend verstünde, dem philosophischen Mangel des Buchs Abhilfe zu leisten. Insgesamt: Ein Instantiierungsfall für platonische Schriftkritik.>

 

Wunden, Wolfgang (Hg) (98) Freiheit und Medien. Ffm. ( = Beiträge zur Medienethik 4)

<die Frage nach den Medien wird unter dem speziellen Gesichtspunkt ‚Freiheit’ (cf. Beiträge Bd. 3 ‚Wahrheit’) betrachtet, wobei die Anbindung an das Thema unterschiedlich eng bzw. weit gefaßt ist. Der Hg. selbst versucht sich eher an den Prolegomena für eine systematische Medienethik - so auch der Untertitel seines Beitrags, der gleichwohl unter „Freiheitliche Medienmoral“ firmiert (S.145-161); daneben noch philosophisch interessant, wenn auch arg schematisch und klassifikatorisch: Debatin, Bernard „Verantwortung im Medienhandeln. Medienethische und handlungstheoretische Überlegungen zum Verhältnis von Freiheit und Verantwortung in der Massenkommunikation“ (113-130)>. Debatin dient so mehr als Anreger, denn als philosophisch argumentierender Ethiker (besser scheint mir sein Beitrag in Holderegger). Verstärkt findet sich solches Anstoßen von Diskussionen (wie bei Debatin) in kurzen Beiträgen zu Spezialfragen, wobei Rollers knappe Analyse zu Gewaltfilmen (189-203) für eine Diskussion dieser speziellen Problematik herangezogen werden könnte.>  

 

 

Es gibt daneben eine ganze Reihe von Werken, die sich in verschiedenen Perspektiven mit Medienethik beschäftigen. Wie größtenteils auch bei den oben genannten Referenzwerken liegt der Focus der Aufmerksamkeit, im Gegensatz zur Grundlegungsebene, die das Seminar ins Auge faßt, dabei auf  angewandter Ethik. Im angelsächsischen Bereich  häufig auch mit der Diskussion von Fallbeispielen verbunden.

Auf ein Werk, das möglicherweise für unsere Fragestellung unmittelbar relevant ist, das ich aber erst jetzt einsehen kann, weise ich zudem hin:

Rath, Matthias (Hg) (2000) Medienethik und Medienwirkungsforschung. Wiesbaden.

 

Jenseits des konkreten Rahmens des Seminars möchte ich daneben auf die Zeitschrift Forum Medienethik/ hg. vom Forschungsprojekt Medienethik der Universität Tübingen (Stuttgart) <im Journalistischen Seminar>, auf die vom Gemeinschaftswerk der Evang. Publizistik herausgegebene Buchreihe: Beiträge zur Medienethik, (s. beispielsweise oben Wunden, W. (Hg)) und die Zeitschrift Journal of Mass Media Ethics, deren Abstracts im Netz abrufbar sind (http://jmme.byu.edu) verweisen. 

 

Und eine letzte Adresse: Prof. Dr. Rüdiger Funiok (München) koordiniert ein Netzwerk Medienethik, das beachtliche Aktivitäten entfaltet: www.gep.de/medienethik/netzeth1.htm

 

Damit komme ich zu den im Seminar ins Auge zu fassenden Grundtexten, von denen aus das ethische Problem mit den Medien und einigen problematischen Formen und Formaten der Medienkultur betrachtet werden soll.

  

Auf Platon und Kant habe ich in meiner Ankündigung verwiesen (s. dort). Weder der eine noch der andere sollen als Medientheoretiker und -ethiker modisch vermarktet werden. 

Doch sollten die entsprechenden Stellen nachdenkend zur Kenntnis genommen sein, um jene eigentliche Gefahr der Medien, daß die Person, also der Mensch, im Medium selbst zum Mittel wird, vom Medium funktionalisiert, instrumentalisiert oder derealisiert, richtig zu bedenken. Das mag ja dann statt einer generellen kulturkritischen Verwerfung der neuen Medien als einer, im platonischen Sinn, der Seele beraubten Struktur zu einer beherzten, kritischen Durchdringung der Medien mit Anwendungsperspektiven führen (wie Dominic Kerstjens letzte Stunde zu bedenken gab, hat Platon seine Schriftkritik inspiriert geschrieben, nicht nur konsequent medienkritisch beredet). 

Die folgenden Autoren sollen in diesem Sinn für eigenständige Entwicklung medienethischer Überlegungen in kritischer Distanz herangezogen werden.    

 

Flusser fordert dazu auf, das Potential der neuen Medien zu nutzen und sich in der Nutzung vom bloßen Funktionär - und damit einer Erfüllungsgröße des Apparats - zum freien Gestalter hin zu entwickeln, der in Kenntnis des Mediums, nicht in naivem Verfallen an die neuen Medien agiert. 

Flusser, Vilém (83) Für eine Philosophie der Fotografie. Göttingen.

<man könnte gut - und sollte - die Abschnitte 7 und 8 (S.52-68) lesen>

-- . --- (85; 390) Ins Universum der technischen Bilder. Göttingen: European Photography.

Die Abschnitte 10 und 11 (S.67-80) verdeutlichen gut die positive Volte, die Flusser der telematischen Mediengesellschaft gibt. Gleichzeitig wird der, für die ethische Frage entscheidende, Aspekt des Dialogs  - man erinnere sich an Sokrates (und wer ihn kennt Levinas) -  aufgegriffen. Kap. 20 „Raffung“ (S.140-143) bietet, wie der Name sagt, einen gerafften Überblick über das Buch.> 

 --. --- (91; 94) Gesten. Versuch einer Phänomenologie. Ffm.: Fischer

<insbesonders das 2. Kap. „Jenseits der Maschinen“ aber – vor dem Hintergrund Platon - auch Kap. 3 und 4 „Die Geste des Schreibens“ bzw. Sprechens und das 6. Kap. „Die Geste des Liebens“ sind relevant>.

--.--- (96) Kommunikologie. Mannheim.

<der Anfang bis S. 50 bietet eine einfache Orientierung über den (problematischen) Rahmen; S. 177-208 einige Beispiele für moderne Technobilder und gelesen werden sollte unbedingt: „Die gegenwärtige Situation“ (S.223-231) -  

 

Baudrillard - was soll ich dazu sagen? Er ist unlesbar, wenn man nicht hartnäckig gegen ihn mitdenkt, er ist ein maßloser Provokateur, der nur dem aufmerksamen Leser eine Chance läßt, Maßgebliches zu (er-) finden, er ist ein Moralist der Immoralität, der noch vor den Fallstricken der eigenen Moral auf der Hut zu sein sucht, der für das Nichts plädiert, um im Scheitern des Plädoyers ein wenig - wenig genug, aber wenigstens etwas - Bleibendes zu gewinnen. Sein ganzes Denken umkreist die Medialisierung und zum Teil auch konkret ‚die Medien’. Er ist der ideale Autor, wenn man keine ‚richtigen’ Thesen erhofft, sondern Verführungen zum Denken. Damit ist er der richtige Autor für ein Medienethikseminar, das sich, selbstdenkend, in kritischer Distanz hält. Also! Obwohl er auch nicht ganz Unrecht hat, wenn er beobachtet: „Massenmedien sind dadurch charakterisiert, daß sie anti-mediatorisch sind, ..., daß sie Nicht-Kommunikation fabrizieren“ und „die Medien sind dasjenige, welches die Antwort für immer untersagt“ Kool-killer: 91. Das heißt: die (unaufhörliche) Kommunikation in den Medien ist eigentlich gar keine, bzw. wenn man den Begriff ‚Kommunikation’ im virtuellen Raum doch zuläßt (cf. Das perfekte Verbrechen: 15; 47ff; 167 ff), dann ist diese Kommunikation der „Ort des perfekten Verbrechens gegen die Alterität“ - es gibt keinen (realen) Anderen mehr.         

Baudrillard, Jean (90; dt.92) Transparenz des Bösen. Berlin: Merve

<darin z.B. die Abschnitte „Nach der Orgie“ „Transästhetisch“ und „Transsexuell“ sowie „Die Operation des Weißwaschens“>

--. ---  (95; dt.96) Das perfekte Verbrechen. München: Matthes & Seitz < daraus wären die Abschnitte „Die Écriture automatique der Welt“ (47ff) für eine generelle Problematisierung einer Tendenz der Medialisierung, in der wir uns (samt Medien und Message) verlieren, interessant, „Objects in this mirror“ (135-140) begleitend für Überlegungen zur (klassischen) Fotografie und der Schluß: „Die andere Seite des Verbrechens“ für eine kritische Befragung der Baudrillardschen Übertreibungen>  

-- . --- (99; dt. 2000) Der unmögliche Tausch. Berlin: Merve

<Ich empfehle, wenn man schon ein wenig Baudrillard kennt, „Jenseits der künstlichen Intelligenz“ (151-165) einzusetzen; man kann auch gut einen Blick auf die - auch für Roland Barthes charakteristische - Feier der Fotografie (189ff) als nicht repräsentierendes Medium werfen> 

--. --- (dt.78) Kool Killer oder der Aufstand der Zeichen. Berlin: Merve

<Der Anfang: “Unser Theater der Grausamkeit“ S. 7-18, verfällt recht unkontrolliert in überrissene Spekulationen, der Titelessay ist interessant, doch nicht so sehr für Medienethik, und das „Requiem für die Medien“ (1972) ist zeitgebunden veraltet, doch enthält es einige wirklich gute Sentenzen.>

 

Virilio, Paul - wie Baudrillard ist er sehr schwer zu lesen, weil er seine Aufsätze mit Randbemerkungen und Nebeninformationen überfrachtet, doch er machte auf  einige grundlegende Zusammenhänge der Informationsflut, der Aufklärung und der (kriegerischen) Bemächtigung durch solche Aufklärung aufmerksam und ist für eine Reflexion auf die problematischen imperialen Aspekte medialer Welterschließung unverzichtbar.

 

(84; dt.89) Krieg und Kino. Logistik der Wahrnehmung. Frankft. a.M.: Fischer Tb (Lizenzausg.v.München: Hanser, 1986)

<nicht nur ein charakteristischer Titel, auch ein Virilio charakterisierendes Werk, dem zur Seite steht: (91; dt.93) Krieg und Fernsehen. München: Hanser. < die Auseinandersetzung mit dem Musterfall Golfkrieg, allerdings theoretisch nicht so bedeutsam>>

 

Gelesen werden sollte aus:

(88; dt.89) Die Sehmaschine. Berlin: Merve. (149)

 (3) "Das öffentliche Bild" (S.83-108),

doch bieten auch die anderen Aufsätze einige bedenkenswerte Überlegungen in freilich manchmal recht eigenwilliger - wenn auch kaum schlimmer als Baudrillard - Diktion.

 

 

Eine Ergänzung:

Carroll, Noel (98) A philosophy of mass art. Oxford: Clarendon (E)

<Im Abschnitt 5 “Mass Art and morality“ (291ff) entwickelt Carroll zwar arg vereinfachte, doch interessante Überlegungen zur Wirkung von impliziten moralischen Botschaften, die dann für praktische medienethische Überlegungen z.B. hinsichtlich Zensur etc. relevant werden können. Wollte man ihn negativ charakterisieren, dann würde man sagen, daß er naiv die prinzipielle Moralität der trivialen Formate unterstreicht, von Casablanca bis Titanic, doch Carroll ist nicht naiv, und sein Mut, Adornos Kulturkritik zu kritisieren, ist in jedem Fall beachtlich. Dies ist nur ein Ergänzungshinweis; ein Aufsatz von Carroll zum Fernsehen findet sich in Kieran (ed) (98) s.o. >