WS 2000/ 2001 J. Rauscher                                                                                        Paper zu: Kap.6

HS: Arthur C. Danto: Verklärung zur Kunst.

 

 "Kunstwerke und reine Darstellungen"

 

Elementare Argumentationsstruktur des Kapitels:

A)    Geltungsbereich: gattungsübergreifend Kunst im Allgemeinen – Grenze: bloße Darstellung (209-214) führt zu

B)    Differenz von Kunst zu bloßer Darstellung (das angezeigte Thema, dennoch nur (214-228) <Unterschied zu vorangehender Behandlung: angenommene Erscheinungs- und Inhaltsgleichheit; Lösung aus der Koppelung von ‚was’ + ‚wie’ als Ausdrucksintention>.

C)    Endgültige Widerlegung der Nachahmungstheorie aufgrund von deren Unvermögen diese Differenz zu berücksichtigen (228-247)

D)    „Anspielungen“ zu den theoretischen Schlüsselbegriffen der Lösung: Stil, Ausdruck, Metapher im Blick auf Epochen und Person und deren Färbung der Darstellung (248-251).

Anknüpfungsfäden zu früheren Kapiteln: I (S.27-46); II (S.65ff und 83); und insbesondere III (S. 108-133); daneben IV: 150 und 158.

Wiederholende Vorbemerkung zu Darstellung: Nachahmung (Mimesis), asymmetrisch und in­transitiv , hat nicht die logische Begriffsstruktur von Ähnlichkeit und muß nicht als Beziehungsbegriff konstruiert werden (Fiktion). Sie ist ein Darstellungsbegriff  und keine Art von Spiegelbild. (Kap. III: 112; cf. a. 116f zu ‚Sinn’ und ‚Bedeutung/ Bezug’ (Nachahmungen sind Bedeutungsträger und intensional)). ‚Ähnlichkeit’ kommt Nachahmung als begriffliche Bedingung zu (123; cf. a. 246).

Zwei Bedeutungen von Darstellung: a) (Repräsentation) – Vergegenwärtigung als Anwesenheit des Dargestellten; Verkörperung – Identität b) Repräsentation – Für etwas anderes stehen – Vertreten (logische Abwesenheit) – Bezeichnung. Analoges gilt für ‚Erscheinung’ (cf. Kap. I:42 ff).

a) wäre ein magisches Wirklichkeitsverhältnis zuzuordnen und b) ein semantisches mit einer ontologisch-semiotischen Kluft zwischen Bezeichnendem / Bezeichnetem. (Das fällt natürlich nicht mit der Unterscheidung von zwei Arten des bedeutungsvollen Darstellens gemäß der oben angeführten Unterscheidung ‚Sinn’ und ‚Bedeutung/Bezug’ in eins). 

Kunst entwickelt sich, nachdem die Darstellungen aus der magischen Realität heraustreten und  der Realität, die gleichzeitig nicht mehr magisch verstanden wird, kontrastiert werden können. Kunstwerke sind daher Darstellungen in der Art von Sprache, „der Realität widerstreitend“ (125).  <<Die etablierte semantische Differenz ermöglicht dann (auf der Basis von b)) einen Rückbezug auf die Struktur a) ohne in eine magische Auffassung von Realität zurückzufallen --> Kunst>>  

 

A) Vorgeplänkel: Hinweis auf den Anspruch, die Bedingungen der Kunst allgemein, d.h. für alle Künste (Danto spricht ambigue von: Gattungen), methodologisch adäquat zu untersuchen.

Mit seinem Telephonbuchbeispiel bietet Danto ein weiteres fiktives Kunstwerk an und exerziert Gattungswechselspiele (209-214), da verschiedene  Gattungen ein gemeinsames materielles Gegenstück haben können.

Anmerkung: Da ‚das Telefonbuch von Manhattan’ auch 1980 bereits eine Entität mit gestückelter Referenz war und nicht ein Einzelobjekt auszeichnete, bleibt unklar, ob Danto radikale Konse­quenzen aus seiner Interpretationstheorie ziehen würde und ein individuelles materielles Objekt einmal als Kunstwerk in der Gattung Roman und dasselbe Objekt später als Kunstwerk der Gattung Skulptur denken will, oder ob er nur verschiedene in den Materialeigenschaften identische Objekte unterschiedlichen Künsten zugeordnet wissen will. (Letzteres wäre nur eine graduelle Steigerung gegenüber den Eingangsbeispielen der Roten Quadrate).

Das Telephonbuch mag daher als: Skulptur; Druckgraphik; Roman; Gedicht oder musikalische Komposition dienen - Allgemein (cf. z.B. Adorno), wird die Auf­lösung der Gattungsgrenzen z.B. zwischen Komödie und Tragödie und weitergehend zwischen Lyrik und Prosa oder gar verschiedenen Künsten als Zeichen gewertet für die Selbstproblematisierung der Kunst, die dergestalt an "ihrem eigenen Begriffe zerrt" --> Ende der Kunst> –

Diese Auflösungserscheinung interessiert Danto jedoch hier nur insofern, als ein und dasselbe Objekt unterschiedlichen Gattungen zugerech­net werden kann, mit der Folge, daß sich seine logi­schen Grenzen - z.B. die Prädikate, die für es definiert sind - gemäß den Regeln der verschiedenen Gattungen ändern (verschiedene Darstellungssysteme). In gewohnt neckischer Weise entfaltet Danto den (Telefonbuch-)Roman ‚Metropolis Eighty’ und wendet auf das Werk einige Kriterien und Beschreibungsprädikate entsprechender Kunstkritik an. So läßt er die logischen Grenzen der Beschreibung in Abhängigkeit von Identifikation und entsprechender Klassifikation vor unseren Augen erstehen, ohne allzu diffizil zu operieren oder zu tief zu bohren.

Anmerkung: Die von Adorno betonte Variabilität aller und insonderheit der Gattungsinvarianten wäre beispielsweise in Bezug auf die Gattungsregeln als Problem zu bedenken, aber im Prinzip hat Danto recht.  In vertrauter Weise hebt er den Unterschied hervor zwischen a) der faktischen Unaufführbarkeit des Telefonbuchs als atonaler Musik und einer eventuellen dementsprechenden ästhetischen Einschätzung und b) der logischen Unmöglichkeit das Telefonbuch von Manhattan aufzuführen, solange es nicht als Musik klassifiziert ist. Für das Telefonbuch ist – nur scheinbar paradox - die Anwendbarkeit des Kunstprädikats ‚unaufführbar’ gerade ausgeschlossen.    

Im Extremfall haben wir eine kategoriale Differenz zwischen Kunst (Darstellung) und bloßem Ding (Objekt) – doch das ist, einschließlich der Prädikatselektion, alles bekannt (cf.158). Allerdings führt es logischerweise zur Betrachtung der Differenz von Kunst und reiner Darstellung.

 

B) Unterscheidung von Kunstwerken und reinen Darstellungen - das Thema - laut Überschrift (dennoch nur von 214-228)

Diese Fragestellung entspricht nicht einfach der nach dem Unterschied von bloßem Ding und Kunstwerk (Bezogenheit wird vorausgesetzt)!

Die beliebten Danto-Beispiele :

1) - Hokusais Fudschijama gegen ein Elektrokardiogramm nebst diversen Zuspitzungen dieser Opposition (214-218) - das Beispiel verdankt sich wie auch sonst viele Überlegungen Dantos zu Darstellungssystemen Goodman (276) Languages of Art, 229f.

Doch gegen Goodmans Herleitung ästhetischer Prädikate wie 'Fülle' - Goodman spricht von Symptomen des Ästhetischen - aus Eigenschaften des Sym­bolsystems, betont Danto (216f) die Notwendigkeit einer Entscheidung, die auf der Produktionsgeschichte basiert (Stil).

 

2) - Cezanne und seine Frau: a) ein Kunstwerk (Cezannes Porträt seiner Frau) präsentiert als b) reine Darstellung (Diagramm des Gemäldes) und c) durch Lichtenstein wiederum zum Kunstwerk transfiguriertes Diagramm (b) - (S. 218-221). Als Beitrag zur Lösung wird c) wegen des „selbstbewußten Gebrauchs von der Form“ (225f - allerdings erst nach der an Beispiel 3) erarbeiteten Lösung) gepriesen (cf. auch Kap. VII: 252ff). Gleichzeitig finden wir hier eine erschließende Anmerkung zum Problem der Kopie. (Beachte den bedeutsamen Problemhintergrund des II. Kap. (67), wobei unmittelbar ersichtlich wird, inwiefern durch Kopieren zwar Kunst entstehen kann, eine Kopie qua Kopie jedoch keine Kunst ist (Bezogenheit -Intention -Ausdruck )).

 - Im Argumentationsgang dient das ‚Cezanne’-Beispiel jedoch nur der  Herausarbeitung der Problemstruktur, da der eigentliche Problemfall einer Darstellung mit identischem Inhalt und gleichen Wahrnehmungseigenschaften nicht gegeben ist.

3)- Capotes nichtfiktionaler Roman und Dantos kaltblütige Analyse, die erfolgreich zwischen radikalisiertem Capotekunstwerk und Zeitungsbericht zu unterscheiden vermag (221-225). - M*s Capoteanalogon und fiktives (nichtfiktionales) Kunstwerk und der nach Form und Inhalt identische Zeitungsbericht M**s,  eine bloße Darstellung, führen zur entscheidenden Gegenstellung. Trotz gleichen Inhalts bewirkt die bewußte Wahl einer Form, „um etwas Bestimmtes zu erreichen“ (223) die Differenz. Der reinen Darstellung fehlt die Absicht, durch das 'wie' etwas Bestimmtes zu erreichen. Die Form wird dergestalt zum stilistischen Mittel.

Anmerkung:  Danto bringt seine Intentionen recht unklar zum Ausdruck und vernachlässigt, daß auch in reinen Darstellungen das ‚wie’ der Präsentation genutzt wird, um etwas zu erreichen. Doch, so könnte man in systematischer Hinsicht anmerken, in solchen Fällen scheint die Form nicht zum intendierten Bedeutungsträger zu werden. 

 

-Resümee und Thesenformulierung zum fundamentalen Unterschied von Kunstwerk und sonstiger Darstellung - zentrale Stelle! (225-227)

"selbstbewußt von der Form Gebrauch" (225) macht die reine Darstellung im Gegensatz zur Kunst nicht <<in der Kunst ein rhetorischer Gebrauch>>.

            Selbstbezüglichkeit (cf. Roman Jacobsen) - dadurch 'Inhalte' verschiedener Ordnung möglich.

            Ausdruck bringt für Danto terminologisch den Unterschied auf den Nenner --> Doppelrolle von Darstellung und Aus­druck das Kennzeichen der Kunst. (cf. Kap. VII).

Kunstwerke gebrauchen die Darstellungsmittel so, daß durch die vollständige Bestimmung des Dargestellten (Inhalt) das Werk nicht hinreichend bestimmt wird. Ein Kunstwerk drückt etwas über seinen Inhalt aus.

 

Danto bringt einen Einwandsalto (fingierter Einwand eines Gegners gegen die potentielle Position), der unbeantwortet bleibt, als Abschluß: sind alle partiell selbstbezüglichen Darstellungen Kunst? (227f). <Das VII. Kap. bietet eine gewisse Lösung>.

In Zusammenhang damit steht das Problem der Unterscheidung zwischen darstellerischer Unfähigkeit und Ausdruckskraft (cf. 247  ).

Im Argumentationsgang dient das aufgeworfene Problem jedoch nur dazu, die Nachahmungstheorie zu widerlegen, die zu dieser Frage als Frage nicht vorzudringen vermag.

 

 

C) Die prinzipielle Inadäquatheit der Nachahmungstheorie (im Fol­genden N-th.) der Kunst (228-251) <- allgemein bevorzugt Danto in diesem Teil indirekte Beweisführung (z.B.236); systematisches Hauptthema: ästhetische Prädikate>

Der Einwandsalto (möglicherweise kontrafaktische Annahme (227?)) als Vorspiel:  Inhalt und Form.

Das Problem als solches läßt nach Danto die Nachahmungstheorie scheitern. Sein Grundge­danke: 'ich <Danto natürlich> bleibe zwar die Antwort auf den Einwand (zunächst) schuldig, die N-th. gelangt jedoch nicht einmal zur Fragestellung'.

 

 

 

1) Tendenz der N-th. das Medium zu eliminieren (logische Unsichtbarkeit--> Transparenztheorie) (229-232)

-das bedeutet eine Reduzierung des Kunstwerks auf den Inhalt: "das Darstellende und das Darge­stellte verkörpern die gleichen Prädikate" (230); cf. ebd. Definition von direkte Darstellung.

- Beispiel: Leonardo da Vincis Glasscheibe <cf. als eine Art künstlerischen Kommentars Magrittes philosophische Malerei; z.B. La condition humaine)

Danto ist im Folgenden sehr unklar und sprunghaft, was sich auch an den diskontinuierlichen Abschnitten zur a) Illusion als idealtypischem inhärenten Ziel der N-theorie (231-241f) und b) dem Berkeleyanalogon: Bewußtsein - Medium (232 u. 243-245) zeigt. <<zur Illusion empfiehlt sich der Rückgriff auf S. 49f>>

Die Formulierung: "die N-th. ist praktisch ein Synonym für den Platonismus" (234) ist so sophisticated, daß sie an Unsinn grenzt.

 

2) Folgen der Inhaltsfixierung der N-th. und Widerlegung durch Hinweis auf differente Anwendungsbereiche ästhetischer Prädikate (234-243)

Dantos Argumententwicklung:

-Bei völliger Transparenz - nach Danto das Idealbild einer bestimmten Ausformung der N-theorie - folgt für das paradigmatische ästhetische Prädikat `schön`

(1) S(x) & W(x) gdw. N(x,y) & S(y) (234) <<S(x) -schön; W(x) - Kunstwerk; N(x,y) -x ahmt y nach>.

-Unabhängig von der Frage der Nachahmung im einzelnen, kann aus der Schönheit des Werks auf die Schönheit des Inhalts geschlossen werden. In Dantos informeller Notation

(2) S(w) --> S ( i )  (236). w = Werk; i = Inhalt.

Während diese Theorie für `schön` noch halbwegs funktioniert, scheint die Generalisierung über die ästhetische Prädikate:

 (3) Alle F (F(w) -->F( i )) (236) völlig kontraintuitiv. Nur wenige der zahlreichen Prädikate (F) (237) scheinen in gleicher Weise dem Inhalt wie dem Werk zukommen zu können. Der gemäß (3) analytische Transfer von "kraftvolle Zeichnungen von Blumen" auf "Zeichnung von kraftvollen Blumen" scheitert kläglich. (3) gilt demnach nicht, und Danto kann folgern: "es gibt Prädikate, die sich auf Kunstwerke anwenden lassen, aber nicht auf reale Dinge" (241). Danto sieht hier einen Fortschritt gegenüber der Diskussion in Kap. IV (cf. S.148), doch scheint mir der lediglich in der thetischen Entschiedenheit, dem Gestus, zu liegen. Das dort beiläufig Anheimgestellte wird zur These.

Nebenbemerkung: Die zitierte Formulierung Dantos ist in dieser Form sachlich nicht gedeckt!

 

Für Danto ergibt sich die neckische Folgerung, daß im Fall der Illusion (s.o.), "die gesamte Sprache der Kunstwelt der Nichtanwendbarkeit verfällt" (242) - und zwar aus logischen Gründen (Definitionsbereich).

Ganz nebenbei wies Danto bereits vorher darauf hin, daß die Anwendungsregeln der ästh. Kunstprädikate in der Kunstwelt praktisch sehr gut verstanden werden, obwohl sie schwer zu erklären sind, da die Erklärung höchstwahrscheinlich die geistigen Prozesse zusammenfassen muß, die der Identifikation des Werks als ‚kraftvoll‘ zugrunde liegen` (238). Der dantogeübte Leser widmet dem beiläufigen Hinweis auf die geistige Dimension (cf.251) jene Aufmerksamkeit, wie sie den von Danto im Text regelmäßig verstreuten Schlüsselhinweisen - in diesem Kontext noch die semantische Analogie zur Metapher und die Parallelität von Sprache der ästhetischen Beschreibung und ästhetischen Wertschätzung - zukommt.

 

3) Die 'moralpsychologische' Kurve zu Selbst - Entäußerung des Künstlers und stilistischer Färbung (244-251)

Dies leistet den Übergang zum Schlußkapitel (s.dort) und zum eigentlichem Anliegen.

Der Schlüssel liegt in der geschickten Verknüpfung von Persönlich­keit mit Stil und Ausdruck (244) bzw. Innen und Außen (249).

Am Bemerkenswertesten an diesen vorgreifenden Adnotationes ist dabei die Strukturparallele von Epochen und Personen auf die Danto verweist.

Mit der Färbung als Kennzeichnungsbegriff spricht Danto ein wohlbekanntes Phänomen bei der Zuordnung von Darstellungen zu einem geistigen Klima an. Dieses ‚wie‘ der Gegebenheit richtig integriert bestimmt den Ort der Kunst. à Kap. VII.