Anhang:
Deutschland im Herbst 1978
(Geschichte; Bildwert; Realitätskonstrukt)

(D,78 Alf Brustellin/ Bernhard Sinkel/ R.W. Fassbinder/ Alexander Kluge/ Edgar Reitz/Volker Schlöndorff/ Katja Rupé/ Beate Mainka-Jellinghaus/ Maximiliane Mainka; Peter Schubert; Hans-Peter Cloos)

B: Heinrich Böll/ Peter Steinbach;  K: Michael Ballhaus u.a.

D: Caroline Chaniolleau; Hildegard Friese; Heinz Bennent; Wolf Biermann; Katja Rupé; Helmut Griem; Horst Mahler; <R.W. Faßbinder !?>;

FSK: 12; f;   FBW: w;  EA: 17.3.78;    L: 123

Lit:   Filme 77-80; Lexikon des Internationalen Films2;

Paech, Joachim (96) „Zweimal ‚Deutschland im Herbst‘: 1977 und 1992“ In: Lesebuch des Filmischen. Kinoschriften Bd. 4, Wien: Synema, S. 87-105.

Die Filmzeitschrift Cinema, die damals in jedem Heft, die Filme zu nennen versuchte, die ins Kino kommen, notiert den Film anscheinend gar nicht. Das ist hinsichtlich der Rezeption doch bedenkenswert.

„Der Versuch von elf Regisseuren, Situation und Stimmung in der Bundesrepublik Deutschland nach der Schleyer-Entführung und den Selbstmorden der in Stammheim inhaftierten Terroristen im Herbst 1977 zu beschreiben. Ein breites Spektrum disparater Annäherungsversuche von äußerst unterschiedlicher Qualität und Methodik: vom Thesenstück über den Antagonismus von Kunst und Politik (Böll/ Schlöndorff) über die dialektische Montage von Dokumentarbildern (Kluge) bis zur schonungslosen physischen wie psychischen Selbstentblößung (Fassbinder). Insgesamt, gerade wegen seiner Ungereimtheiten, Peinlichkeiten und Schwächen, ein authentischer Reflex deutscher Geistesverfassung in der Krise“ (Lex. Int.)

Der  kursiv gesetzte Teil fehlt in Filme, wo zudem schärfer formuliert wird: „ Eine Sammlung völlig disparater Teile, Episoden und Elemente, die zur Auseinandersetzung über Fakten und Hintergründe des Terrorismus kaum hilfreich ist; mal peinlich, mal bis zur Karikatur überzogen, nur selten treffend und intensiv“ (Filme).

 

Der Film beginnt mit Faßbinder, Rainer Werner Faßbinder.

Man kann diese Episode unter der Linie sehen: Intensität gegen Identität. 

Faßbinder inszeniert sich ungeheuer privatistisch, ja man könnte das Ganze als eine egomane Koketterie mit Betroffenheit, aufgesetzter Selbstkritik und theoretischer Überhebung betrachten. Doch gleichzeitig steht natürlich in dieser aufdringlich inszenierten Intensität der Gefühle ein fundamentales Programm der programmatischen Linken zur Debatte, das erst später ins Bewußtsein gehoben wurde: Intensität gegen Identität[1]. Ich betone dies deshalb, weil hier einer der zwei Ansatzpunkte – der andere ist paradoxerweise entgegengesetzt dazu die Ordnungsstruktur -  dafür liegt, daß Teile der sog. ‚Linken‘ irgendwann mit nahezu faschistoiden rechten Positionen übereinkamen und strukturell austauschbar wurden. Man kann dies an manchen Diskursen des extremen Feminismus inhaltlich, an Horst Mahlers, der im Film als Gefängnisinsasse ein kurzes Statement spricht, jetziger (1998) Position in persona festmachen. Verwunderlich ist ein solches Vexierspiel zwischen ‚Rechts‘ und ‚Links‘ nicht. Den Intensitäten ist es nämlich egal, welche Identitätsbildungen unterlaufen werden sollen.

Man muß Faßbinder dafür loben, daß er die faktische Dialektik erkannt hat und sowohl seine Expression der Intensitäten an anderen Personen gegenakzentuiert wie auch die ebenfalls gegen Identitäten – allerdings auf der Basis ungeklärter internalisierter Identitäten – eingesetzten, gebundenen Intensitäten seiner Mitspieler nicht lediglich denunziatorisch ins Bild setzt. Insgesamt, daran kann kein Zeifel sein, operiert Faßbinder mit der Intensität des unverrechenbaren Individuellen gegen die Ordnungs- und Identitätsschemata. Doch sowohl Faßbinder wie die anderen Beiträge zeigen, daß Adornos Problembewußtsein[2], das er hinsichtlich der Formulierung dialektisch-kritischer Analyse des kapitalistischen Ordnungszustands bereits 1949 erarbeitet hatte, unterschritten wird: Adorno sagte in der Philosophie der neuen Musik (32f): „Die dialektische Methode, ..., kann nicht darin bestehen, die einzelnen Phänomene als Illustrationen ... eines bereits Feststehenden und von der Bewegung des Begriffs selber Dispensierten abzuhandeln; so entartete die Dialektik zur Staatsreligion“ – was ich als Konjunktiv lese. Wir haben bei Faßbinder, wie bei den Beiträgern zum Film - und darin tatsächlich dem Gefühl der Zeit entsprechend -, entweder den Sprung in die Intensität der Betroffenheit oder – u.U. damit gekoppelt – die von Adorno als Menetekel an die Wand gemalte dialektische Entartung zur Staatsreligion. Wir sind heute die Erben dieser Naivität.      

Nach einem theoretischen Statement zur Ehe als bürgerlicher Institution – natürlich kritisch - folgen Spielszenen aus einer Art homosexueller Ehe des Intellektuellen Faßbinder mit einem unbedarften Rübe-ab-Sexpartner Armin, der sich genau wie Faßbinder nackt zeigen darf, was in diesem Fall nicht Sexploitation sondern progressiv ist[3]. Die Szenen sind so unproblematisch nicht, noch dazu, da Faßbinder nicht nur beispielhaft die Borniertheit seines Lebensgefährten ausstellt, sondern in einer Art sentimentaler Selbstkritik, sich ‚schonungslos‘ als völlig kaputt und offensichtlich auch manchmal, selbst in gerechtem Zorn (Brecht!), doch ungerecht und unbeherrscht darstellt. Wahrscheinlich zielt auf diese selbstkritische Komponente die Kritik im Lexikon des internationalen Films ab, die in der prätentiösen Darstellung nicht die Selbstbeweihräucherung und den Exhibitionismus notiert, sondern positiv „schonungslose physische wie psychische Selbstentblößung“ bemerkt. Doch während sich die Aufmerksamkeit auf den authentischen Selbstdarsteller Faßbinder richtet, der ganz natürlich an seinem Gemächte spielt, den Partner mitten in der Nacht aus dem Bett jagt – ganz natürlich nackt – wegen irgendeiner Telefonnummer, usw.  Während also Faßbinder kritisch und kritikwürdig, verletzlich und verletzt zugleich erscheint, werden den anderen Personen ihre authetischen Rollen als supporting act auf den Leib geschrieben – und da liegt das Problem. 

Natürlich läßt sich von einer Metaebene aus sagen, daß derart kaputte Typen wie Faßbinder filmisch gerade darin den kaputten Zustand der Gesellschaft charakterisieren und zugleich Beispiele für eine problemorientierte, kritische Haltung demonstrieren, die in einer solchen Gesellschaft – kein wahres Leben im Falschen – zwangsläufig dieses Gesicht zeigt. Gleichwohl ist mehr als fraglich, ob nicht die Differenz zwischen inszenierter Symbolhaftigkeit und beanspruchter Spontaneität, das Unterfangen fraglich macht. Der Mainzer Filmwissenschaftler Jürgen Felix wies mich auf sehr gezielte Schnitte Faßbinders in seinem radikal subjektiven Gespräch mit der Mutter hin. Das Führerstatement mit dem Faßbinder die dramaturgische Pointe sucht, stellte danach keineswegs den Schluß oder auch nur die Schlüsselstelle des Gesprächs dar.

Gerade wegen der Schnittstelle zwischen projiziertem Selbstbild und spielinterner existentieller Betroffenheit, sind auch die eingebauten Entgleisungen Faßbinders der Koketterie ähnlicher als der Selbstkritik. Praktisch rächt sich, daß Faßbinder sich selbst als fiktional und zugleich personal authentisch zeigen will. Jedenfalls handelt er sich mit dem Ebenendilemma ein Problem ein, das er nicht überzeugend zu lösen vermag. Dokumentiert wird, wie Faßbinder sich vorstellt, daß in Szene zu setzen wäre, wie Faßbinder sich der Situation des Deutschen Herbstes stellen sollte, damit das Ganze ein Gesicht bekommt. – Ins Bild setzen zeigt sich hier jedoch deutlicher im manipulativen Gestus als in den offen manipulativen Montagen Alexander Kluges. Offene Manipulation aber ist keine Manipulation, sondern Anregung zu kritischer Hinterfragung der Konstruktion(en). Logisch und semiotisch betrachtet müßte Faßbinder übrigens unbedingt unter den Darstellern aufgeführt werden, selbst dann, wenn man sich darauf beschränkte, nur die Rollen aufzuschlüsseln – er spielt eine dramaturgisch definierte Rolle! – Fraglich ist hingegen, ob Personen wie Mahler, der nicht spielt sondern real befragt wird, als Darsteller aufgelistet werden sollten. Man creditiert Mahler in dieser Hinsicht vielleicht zu Unrecht.

 

Komplizierte Ebenenstrukturen sind allgemein das Charakteristikum des Films.

Die ästhetische (Winterblau?), didaktische, symbolisch-allegorische und schlichte Handlungsebene, in der buchstäblich jeder Handgriff zur Metapher wird, ist in der Episode um die Geschichtslehrerin Gabi Teichert besonders deutlich. Der Kommentar, der uns darüber informiert, daß sie entweder im Boden gräbt, um einen Unterstand für den 3. Weltkrieg (Zukunft) zu begründen <finden> oder um die Vorgeschichte (Vergangenheit) zu finden <zu begründen> (meine eigene Metaphorik), bringt eine zusätzliche Ebene ein.

Bilder bringen uns als Bilderfolge Geschichte besonders ideologiebelastet nahe. Hat die Geschichtsschreibung das Problem, daß die Wertungsperspektive immer schon in die Darstellung als Auswahlprinzip einfließt, so wird das im Bildraum quasinatürlich dargeboten. Der Staatsakt von der Beerdigung Rommels mit dem völlig richtigen Kommentar: ‚vom Staat getötet‘ wird in einem Wahrnehmungszusammenhang mit dem Staatsakt Schleyer gezeigt, und ohne daß irgendjemand auch nur das Geringste zu sagen braucht, wird angesonnen, daß der Staat für diese Tötung verantwortlich sei.

Ideologie in Bildern entspringt einfach der syntaktischen Kombination von ausgewählten Einzelbildern, deren Zusammenstellung von einem Sinnpostulat begleitet wird  – beim Begräbnis Schleyers werden die Fahnen von Esso gezeigt und die halbmast geflaggten Mercedesfahnen in Stuttgart, wobei zu der Schweigeminute angemerkt wird, daß 90% der Arbeiter am Fließband Ausländer sind. Aus den reinen Bildfakten entsteht Bedeutung.   

 

Paech macht in seinem nicht ganz unproblematischen Aufsatz darauf aufmerksam, , daß der „Film seine Produktionsweise grundsätzlich verändern (mußte), damit noch im Herbst 1977 in kürzester Zeit ein Film in Deutschland über ‚Deutschland im Herbst 1977‘ zustandekommen konnte“ (88). Dieser Aspekt, den er an anderer Stelle mit der medienspezifischen Frage verknüpft, die er sowohl durch und in diesem Film, wie in dem – in seinen Augen – parallelen Film ‚Neues Deutschland‘ (D,93), gestellt sieht, nämlich der Frage, „mit welcher Berechtigung überhaupt noch von ‚Film‘ gesprochen werden kann‘ (87), greift in spezifischer Weise das Grundproblem photographischer Zeitbewältigung auf.

Was geschieht mit den Bildern, a) abgelöst in einem magischen (?) Akt von der als Phänomen gegebenen Wirklichkeit durch die Kamera, b) gemäß den Bedingungen unseres physiologischen Wahrnehmungsapparates unserem Bewußtsein zugespielt als die Wirklichkeit nochmals, jedoch abspulbar und abrufbar, und c) eingebettet in ein logisch-konstruktives Narrationsgefüge, das selbst ein d) schwankendes Fundament im ideologischen Bedingungsrahmen der Bilderproduktion und Bilderverwaltung, der Bilderflut und der Bilderzensur hat.

Natürlich sind dies eher Fragen bezüglich der Natur des Films, denn Fragen nach dem Film ‚Deutschland im Herbst‘.

Sowohl hinsichtlich der Befindlichkeit wie hinsichtlich der narrativen Konstruktion und dem Willen zu gestalterischer Bindung an dramatische Prinzipien ist der Schluß ganz interessant.

Der Schlußsong, der den Bildern, die nach der Beerdigung der Terroristen fast einen Abschied von Woodstock inszenieren, unterlegt ist, stammt aus einem italienischen Film, jedenfalls schrieb Ennio Morricone die Musik, die den Tod von Sacco und Vanzetti als Sieg feiert: „Here’s to you, Sacco and Vance, the day is yours ? ... ? rest in peace, ... their agony is your triumph“ – gesungen von Joan Baez.

Für den weiteren Kontext wäre zu überlegen, ob und inwieweit andere Filme kontrastierend oder parallelisierend zu sehen wären.

Peter Fleischmann drehte 1967 einen dokumentarischen Film „Herbst der Gammler“, den Alf Brustellin in film (Velber) XI,67: 38) besprach. Die Gesellschaft steht in diesem Film den Gammlern mit Forderungen eines Arbeitsethos und mit Maßnahmen zum Erzwingen dieser gesellschaftlichen Konformität gegenüber, die an Parolen des 3. Reichs erinnern.



[1] Lyotard schrieb 1969, damals noch ungebrochen Marxist, einen Aufsatz „A la Place de l’homme, l’expression“ und dies drückt die Volte gegen einen auf Wesensbestimmungen beruhenden Humanismus aus, die gleichzeitig für das Einzelindividuum gegen die Institutionen Partei ergreift. 

[2] 1972 in „Adorno come diavolo“ versucht Lyotard deutlich zu machen, daß die radikalaffirmative Position das Adornosche Problem lösen würde, indem statt ficta und fingens die figura jenseits der Repräsentation und Intention als reine Transformation von (libidinösen) Energieströmen genommen wird. Dieses Konzept ist freilich völlig zum Scheitern verurteilt, wenngleich die strukturelle Differenzierung von Figura, Fictum und Fingens durchaus brauchbar erscheint. Lyotard korrigiert seine Position später selbst und weist den Intensitäten eine korrigierende statt einer fundierenden Rolle zu. 

[3] Beachte die progressiven Sexbilder Rainer Röhls in das da einer Art linkem Pornomagazin und einige weitere eher kuriose Versuche linkes Bewußtsein mit Abschöpfen des sexuellen Mehrwerts freier Bilder zu verbinden. Darin daß diese Versuche emanzipatorisch und ästhetisch scheiterten, wäre feministischer Bilderkritik durchaus zuzustimmen, auch wenn die ideologischen Folgerungen problembehaftet scheinen.  

 

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